Bädersterben: Kriminalroman
ungemütlich. »Junger Kollege, bitte einmal kurz aufmerksam zuhören. Kurze Hosen und Turnschuhe, das geht nicht. Möchte ich nicht wieder bei Ihnen feststellen müssen. Verstanden?« Olli stoppte kurz seinen Schritt und nickte brav zurück, bevor er weiter dem Treppenhaus zustrebte. Dr. Rogge wendete sich ihm wieder zu. »Sehen Sie, Herr Stuhr. Das ist die neue Generation, auf die wir setzen. Den Namen des Kollegen kenne ich noch nicht so richtig, aber das ist einer dieser jungen Absolventen von der Uni, die so in die Arbeit vertieft sind, dass sie sich kaum noch die Zeit nehmen, sich sorgfältig einzukleiden. Die wollen auch nichts werden, die wollen nur forschen, forschen und forschen. Das ist das Salz der Erde, auf dem Helgoland fußt.«
Stuhr musste Dr. Rogge von Olli ablenken. Es war der richtige Moment, um den Zettel mit der Dienstnummer von Dreesen zu zücken. Feierlich übergab er ihn dem Anstaltsdirektor. »Herr Dreesen erwartet Ihren Anruf. Er bittet aber um Diskretion.«
Mit hochrotem Kopf nahm Dr. Rogge den kleinen Zettel wie ein kostbares Artefakt in Empfang. »Mensch, Herr Stuhr, dass Sie das hinbekommen haben, ist eine Wucht. Chapeau!«
Trotz der salbungsvollen Dankesworte war nicht zu übersehen, dass Dr. Rogge seinen Laden nicht im Griff hatte. Seine Mitarbeiter kannte er kaum, und Reinicke hatte vermutlich hinter der Fassade des Frühstückdirektors anstellen können, was er wollte. Er musste hier Verbündete gehabt haben, aber mindestens auch einen Gegner in der Verwaltung, denn sonst hätte er mit der Reisekostenabrechnung nicht tricksen müssen.
Aus den Augenwinkeln bekam Stuhr durch das Treppengeländer mit, dass Olli wieder auf die Herrentoilette flüchten musste, dieses Mal allerdings eine Etage tiefer. Der Grund der Flucht eilte mit kurzen markigen Schritten auf den Direktor der Anstalt zu. Schon vom Treppenabsatz her überbrachte er ihm seine Botschaft. »Dr. Rogge, ich komme mit guten Nachrichten zu Ihnen. Der Zuwendungsbescheid aus Berlin ist so gut wie durch. Nur noch ein paar kleine Formalitäten, und dann kann alles seinen geregelten Gang gehen. Haben Sie Ihren Füller parat?«
Erst jetzt bemerkte Duckstein Stuhr und grüßte. Dr. Rogge wollte ihn vorstellen, aber Duckstein winkte ab. »Ich weiß. Guten Tag, Herr Stuhr. Wir haben uns bereits flüchtig auf dem Flughafen in Büsum kennengelernt. Sie sind durch den Flug auf die Insel ja bekannt wie ein bunter Hund. Ich habe lieber in Cuxhaven das Weite gesucht.«
Artig grinste Stuhr dem ihn skeptisch musternden Duckstein zu und grüßte freundlich mit Unschuldsmiene zurück. Irgendwie freute er sich darüber, dass Duckstein bei der Anfahrt nach Helgoland vom Regen in die Traufe gekommen war.
Dr. Rogge wurde jetzt unruhig. Er wollte offensichtlich die notwendigen Formalitäten mit Duckstein erledigen. »Herr Stuhr, nichts für ungut, aber dieser Termin hat jetzt für mich höchste Priorität. Unaufschiebbare Dienstgeschäfte, Sie verstehen? Der junge Mann von eben kann Sie durch alle Labore führen, einen schönen Gruß von mir. Sie werden ihn irgendwo auf dem unteren Flur in einem der Büros finden.«
Das kam Stuhr durchaus zupass, denn Olli musste er dringend sprechen. So gab er Dr. Rogge und Duckstein die Hand und trabte die Treppen hinunter.
Er befand sich bereits im unteren Flur, als ihm Dr. Rogge noch einmal aus der ersten Etage nachrief. »Ach, Herr Stuhr, bei aller Eile, das hätte ich fast vergessen. Ich habe doch für Sie noch eine kleine Freundesgabe der Biologischen Anstalt für unsere Förderer.«
Dr. Rogge kam ihm einige Treppenstufen entgegen und zog eine Jahresfreikarte für das Aquarium aus seinem Jackett. Dann verabschiedete er sich nochmals, bevor er sich mit Duckstein in das Chefbüro zurückzog. Stuhr betrachtete die Freikarte, die natürlich nur eine symbolische Gabe für die Förderer sein konnte, denn unabhängig von deren kurzer Verweildauer auf der Insel würde sich das Interesse an dem kleinen Aquarium spätestens beim zweiten Besuch erschöpft haben.
Stuhr lauschte, bis sich die Tür hinter Dr. Rogge und Duckstein schloss, und huschte dann in die Herrentoilette zu der einzigen verriegelten Kabine. »Olli? Ich bin’s, Stuhr. Wir sind allein.«
Aus dem sich öffnenden Türspalt lugten zwei Augen vorsichtig in den Toilettenraum. »Ist die Luft rein?« Stuhr musste das noch einmal bestätigen, bevor Olli erleichtert die Kabinentür vollständig öffnete.
Stuhr lobte ihn sofort. »Gute Arbeit,
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