Bädersterben: Kriminalroman
interessiert, denn sie nahm ihn sich jetzt mächtig vor die Brust. »Mein lieber kleiner Feigling. Ich habe viel Verständnis für alles, was du machst. Aber wenn du dich hier in deinem Vereinsladen jetzt nicht irgendwie zu mir bekennst, dann sind wir geschiedene Leute, bevor wir jemals verheiratet waren.«
Das saß. Stuhr liebte doch eigentlich nur sie. Jenny Muschelfang hatte alles, was sein Leben schöner erscheinen ließ. Wie oft gibt es so etwas schon im Leben? Er zog sie an sich heran und flüsterte ihr ins Ohr. »Warum soll ich mich nicht zu dir bekennen? Ich will, dass du irgendwann Frau Stuhr wirst.«
Sie lachte ihn aus. »Jenny Stuhr? Nein, Helge, das geht doch gar nicht. Natürlich wirst du meinen Namen annehmen. Helge Muschelfang. Einen schöneren Namen kann man sich doch überhaupt nicht vorstellen.«
Das konnte sich Stuhr schon, aber eine bessere Frau nicht. Auf einmal begannen die Gäste im Vereinsheim, mit den Fingern zu schnippen und ›küs-sen‹ zu skandieren. Offensichtlich wollten sie wenigstens noch ungestört den Rest des Spiels der Kölner gegen den Goliath aus Bayern mitbekommen. Stuhr blickte sich unschuldig um. »Kameraden, das liegt doch aber nicht an mir, dass ihr euch gestört fühlt, oder?«
Mehr als 50 Zeigefinger wiesen jetzt jedoch zurück auf ihn. Also nahm er Jenny in seine Arme und drückte ihr einen langen und zärtlichen Kuss auf die Lippen. Der folgende tosende Jubel im Vereinsheim war einfach unbeschreiblich. Dass seine manchmal etwas nörgeligen Fußballkumpel so temperamentvoll an der glücklichen Wendung seines Schicksals teilnehmen würden, damit hätte er niemals gerechnet.
Doch Jenny beendete unerwartet schnell den Kuss und drehte sich zur Großbildleinwand um. Prinz Poldi hatte endlich das Führungstor für den 1. FC Köln gegen den deutschen Rekordmeister FC Bayern München geschossen.
35 Kirchspiel
Innerhalb von nur zwei Wochen hatte sich für Strandwächter Hein Timm auf Eiderstedt fast mehr verändert als in den 50 Jahren zuvor. Er hatte sich mächtig geärgert, dass Achim Pahl ausgerechnet im Nationalpark Wattenmeer die Lunte gezündet hatte, um mit dem Brand der Arche sein wirtschaftliches Überleben zu sichern. Solche Schmarotzer wie Pahl müssten mit dem Beifang dem Meer überlassen werden, befand er. Jetzt ging es von der Jahreszeit her gesehen merklich auf den Herbst zu. Das Wetter wurde noch nicht schlecht, aber zunehmend wechselhafter. So war es eben. Nach dem Sommer kommt der Herbst und dann der Winter. Der kalte Nordwind pustet dann nicht nur die unverwüstlichen Strandwanderer durch und kneift deren Nasen rot, sondern macht auch die Gesichter älter. Er konnte das noch aushalten, aber die Alten standen das nicht endlos durch. Hein Timm fühlte sich im Spätherbst seines Lebens, doch der Winter klopfte immer öfter mit vielen kleinen Zipperlein an seiner Tür.
Er hatte keine Probleme mit der Endlichkeit des Lebens, denn schließlich endete mit dem Tod auch ein großes Stück Plackerei, und seine eigene Beerdigung bekam man glücklicherweise nicht mit. Wann immer in Sankt Peter auch die Kirchenglocken zum letzten Gebet läuteten, hatte er sich früher vom Tagesgeschäft aufgerafft und viele Mitbewohner auf ihrem letzten Weg begleitet. Als die meisten Begräbnisse in den letzten Jahren wegen Platzproblemen auf den größeren Friedhof hinter dem Gewerbegebiet verlegt wurden, pilgerte Hein Timm dort nur noch zu besonderen Anlässen hin. Heute läuteten allerdings endlich wieder einmal die vertrauten Glocken der evangelischen Kirche an der Olsdorfer Straße. Fast automatisch raffte er sich auf und machte sich auf den Weg zu dem alten Gotteshaus.
Die heutige Beerdigung war in den letzten Tagen das Dorfgespräch schlechthin und in aller Munde gewesen. Die Deern, die heute zu Grabe getragen würde, hatte zwar einen friesischen Nachnamen, aber sie sollte von polnischer Hekunft sein. Das war für sich genommen nichts Gutes oder Schlechtes. Das Polenmädchen hatte auch nie in Sankt Peter gelebt, doch ihre letzte Liebe stammte von hier. Es musste eine wirklich große Liebe gewesen sein, wenngleich sie nur im Verborgenen blühen durfte, wenn man dem Geschwätz im Dorf Glauben schenken konnte. Ihr Liebhaber lebte bereits seit der Geburt hier, und daher war es nicht ungewöhnlich, dass die Kirche mit vielen Schaulustigen gefüllt war.
In der ersten Reihe vor dem Sarg standen nur wenige erkennbare Angehörige. Der Witwer, ein kleiner, dicklicher, aber nicht
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