Bädersterben: Kriminalroman
Reinicke wurde auf dem Sand ermordet. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass du auch dem Mörder eine Genehmigung erteilt hast.«
Erschrocken studierte Dreesen die Liste ein weiteres Mal, bevor er vorsichtig nachfragte. »Ist das dein Ernst?«
Stuhrs Stimme wurde eindringlich. »Ich brauche die Liste, Dreesen. Dringend. Schick sie mir zu, am besten per Mail. Ich habe keinerlei Ahnung, wer dieser Jemand sein könnte. Dreesen, glaube mir, das ist mafiös. Fast so wie in Sizilien
im Hafen von Palermo, wo die an Betonblöcken geketteten, zur Wasseroberfläche hinstrebenden Leichen eine unfreiwillige Mahnwache für alle Verräter darstellen.«
Dreesen war genervt, denn so kannte er Stuhr von früher. Er übertrieb wie immer. »Wieso machst du eigentlich einen solchen Wind, Stuhr? Leg dich doch an den Inselrand und ruh dich einfach aus. Oder trink ein Bierchen und komm ein wenig runter. Schließlich machst du doch Ferien, oder bist du etwa schon wieder am Spionieren?«
Stuhr schien sich wieder beruhigt zu haben, denn jetzt sprach er ganz normal . »Dreesen, ganz dienstprivat. Es geht doch nur um eine kleine Gefälligkeit für mich. Es wäre nicht schlecht, wenn du deinen Terminkalender durchforsten könntest nach Kontakten und Gefälligkeiten, die durch Reinicke veranlasst worden sein könnten. Mich würde schon interessieren, was er im Einzelnen von dir wollte. Aus diesen Puzzleteilen könnte man unter Umständen …«, Stuhr würgte unerwartet den angefangenen Satz ab und begann sein Anliegen neu. »Ach, Dreesen, jetzt fällt mir erst ein, was ich dir eigentlich mitteilen wollte. Ich bin hier prima untergekommen, und durch den Besitzer meiner Unterkunft, Herrn Rasmussen, habe ich den Chef von diesem Reinicke kennengelernt, den Leiter der Anstalt, ein gewisser Dr. Rogge. Wie das eben so ist, Dreesen, vorhin beim Mittagessen hat Dr. Rogge mich auf dich angesprochen. Er würde gern den alten Kontakt von Reinicke zu dir fortführen. Kann ich dem deine Nummer geben und sagen, dass ich mit dir gesprochen habe?«
Es fiel Dreesen schwer, jetzt die Contenance zu bewahren. Eben gerade noch hatte ihn Stuhr wegen diverser kleiner Gefälligkeiten getadelt, und jetzt verlangte er selbst eine. So war er eben. Skeptisch fragte er nach. »Was soll ich denn für diesen Dr. Rogge tun?«
Stuhrs Antwort folgte schnell. »Nichts. Nur das Gleiche, was du früher für Reinicke erledigt hast. Sein Anliegen anhören, und mich dann schnell informieren. Das ist doch nicht zu viel verlangt?«
Im ersten Moment klang das nicht unehrenhaft, aber wer wusste schon, in welcher Klemme Stuhr gerade wieder einmal steckte? Oder hegte Stuhr etwa einen Verdacht? Aber das war Dreesen eigentlich egal, denn er verspürte wenig Lust, sich an Stuhrs Spekulationen zu beteiligen. Einen Rat seiner Mutter wollte er ihm aber schon mit auf den Weg geben. »Denk daran, Stuhr. Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um.«
Diese Ängste wischte der andere allerdings beiseite. Die Telefonverbindung wurde schlechter und Stuhr krächzte ihm in Kurzform seine Bitte zu. »Dreesen, hörst du mich noch? Mach die Socken scharf und sende mir die Liste mit den Genehmigungen für die Wattbefahrung an meine E-Mail-Adresse. Und wenn du kannst, dann möglichst schnell noch eine zweite mit den Sachen, um die dich der Reinicke gebeten hat. Vertraue mir Dreesen, ich …«
Die Verbindung riss ab. Dreesen legte den Kopf in seine aufgestützten Arme und überlegte. Dem Stuhr, dem hatte er immer vertraut, und damit war er stets gut gefahren. Deswegen schob er die Papierstapel von seinem Schreibtisch und begann, seine Kontakte mit diesem Reinicke zu recherchieren. Es waren zu seinem Leidwesen erheblich mehr, als er sich selbst eingestanden hatte. Reinicke, Rasmussen und selbst Dr. Rogge. Alle standen sie auf seiner Liste mit den Genehmigungen.
Dennoch klickte er die Liste an und beförderte sie in seinen Postausgang. Mit etwas Glück würde Stuhr die anderen Namen nicht kennen. Die Aufstellung mit den förderungswürdigen Projekten, die er für Reinicke an seine Kollegen in die anderen Ressorts weitergeleitet hatte, die behielt er jedoch für sich. Schließlich hatte Stuhr nicht danach gefragt. Musste er denn ein schlechtes Gewissen haben, dem Reinicke notgedrungen geholfen zu haben?
16 Kakanien
Olli Heldt ging es hundeelend, und er langweilte sich im Helgoländer Krankenhaus. Das letzte Mal war er vor zwei Jahren nach einem versuchten Mordanschlag in einem ähnlichen
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