Bädersterben: Kriminalroman
Grenz und die Friesische Fluggesellschaft zu machen, denn weder Stuhr noch Olli Heldt waren für ihn erreichbar. Die Clausen hatte ihren Schichtdienst auch schon beendet, und ihr Stellvertreter hatte keinerlei Neuigkeiten zu vermelden. Sein Oberkommissar Stüber war inzwischen nach Kiel in die Polizeidirektion zurückgekehrt und hatte umgehend von der üblen Stimmung berichtet, die sein verhasster Büroleiter Zeise innerhalb der Abteilung wieder einmal verstärkte. Das ärgerte Hansen besonders deswegen, weil der in Westerland ermittelnde glücklose Kollege im Gegensatz zu ihm noch nicht einmal den Toten identifizieren oder irgendwelche weiterführenden Spuren entdecken hatte können.
Dieser Fall schien in der Tat noch mysteriöser als seiner in Sankt Peter zu sein. Auf der Insel hatte letzten Freitag am frühen Morgen ein Strandgänger einen im Sitzen schlafenden Mann in einem schicken Kashmirmantel entdeckt, sanft angelehnt an einer kleinen Düne. Natürlich lag die Vermutung nahe, dass er ein verkatertes Überbleibsel eines fröhlichen Abends in der Sansibar gewesen war, einer berühmten Strandlokation, die keine 300 Meter weiter nördlich lag und in der die Promis zuweilen auch ausgelassen auf den Tischen tanzten. Weil die männliche Person aber überaus elegant gekleidet war und überhaupt nicht in diese morgendliche Strandidylle passte, näherte sich der Spaziergänger, um nach dem Rechten zu sehen und ihm eventuell auf die Beine zu helfen. Doch der sitzende Mann war starr und kalt. Er schien tot zu sein, obwohl keinerlei äußerliche Anzeichen von Gewalt festzustellen waren. Der Strandgänger informierte mit seinem Handy die Polizei, und zum Glück konnte die Leiche ohne viel Aufhebens nach den üblichen polizeilichen Sicherungsmaßnahmen vor Ort mit einem neutralen Leichenwagen unbemerkt nach Kiel in die Gerichtsmedizin weggeschafft werden.
Der Tote hatte keinerlei Papiere bei sich getragen. Die folgenden behutsamen Nachforschungen der Kollegen in der Sansibar und auf der gesamten Insel verliefen ausgesprochen zäh, man wollte schließlich in der Hauptsaison keine Badegäste verschrecken. Auch die Fingerabdrücke ergaben keine Übereinstimmungen im Zentralcomputer, wovon allerdings bei der Eleganz der Erscheinung auch kaum ausgegangen werden konnte. Wegen des Wochenendes konnten die Kollegen von der Gerichtsmedizin ihre Untersuchungen erst am gestrigen Montagmorgen in vollem Umfang aufnehmen, und Stüber schien nun nicht ohne Stolz zu sein, Hansen ein erstes Ergebnis nach den üblichen Analysen exklusiv verkünden zu können.
»Chef, die Wurst ist warm. Keine Ahnung, wer der Tote ist. Aber halten Sie sich fest. Er trug Hörstöpsel in seinen Ohren.«
Hörstöpsel in den Ohren? Worauf zielte sein Oberkommissar ab?
Stüber setzte sofort nach. »Chef, das ist doch ein Klassiker. Auf Sylt verstöpselte Ohren, in Sankt Peter ein verknebelter Mund. Wann folgt die Nase und wann werden Augen geblendet? Chef, es muss eine Große Mordkommission gebildet werden. Wir müssen übergreifend ermitteln. Zeise bläst das hier schon seit gestern ungefragt überall durch die Polizeidirektion. Ich weiß, der ist ein Oberidiot, aber er sorgt für ungesunden Aufruhr. Das schlägt alles auf uns zurück, Chef. Zudem ist es die einmalige Gelegenheit, unseren Fall jetzt loszuwerden.«
Was Zeise dachte oder kolportierte, das juckte Kommissar Hansen meistens wenig. Aber dass sich ausgerechnet sein Oberkommissar ernsthaft Gedanken über den Fall machte und ihm zudem noch über diesen Dumpfbatz von Büroleiter eine gleiche Einschätzung übermittelte, das gab ihm erneut ernsthaft Grund zum Nachdenken, denn dessen ganzer Einsatz galt ansonsten bisher allein der Witwe Eilenstein. Oberkommissar Stüber musste in einer echten Beziehungskrise stecken. Nein, eine Große Mordkommission, das würde den Politikern in Schleswig-Holstein den Hals brechen, denn der Vorfall auf Sylt war bis jetzt kaum jemandem bekannt. Der Zusammenhang, den Stüber vermutete, war allerdings durchaus nachvollziehbar. Die Ohren auf Sylt und der Mund in Sankt Peter? Das konnte natürlich schon der Beginn einer Mordserie sein. Oder war es Zufall und die Serie zog sich weiter von Norden nach Süden? Sylt und St. Peter-Ording begannen zwar beide mit ›S‹, aber außer dem Nordseetourismus kannte er nichts, was die Insel und den Ort verband. Der Fall blieb trotz Stübers letzter Erkenntnis mehr als rätselhaft. Hansen bat ihn, weiterhin engen Kontakt zur
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