Bädersterben: Kriminalroman
es ist Hauptsaison, das Hotel ist ausgebucht, und hier werden am Abend in der Gaststube mindestens 60 Essen ausgegeben. Ich muss in die Hotelküche und unseren Jungkoch instruieren. Wenn in der Küche etwas schiefgeht, dann ist man auf Helgoland schnell weg vom Fenster, und es haftet einem noch jahrelang an. Schauen Sie sich das doch einfach heute Abend von unserem Gastraum bei einem Käffchen aus an. Der erste Drink geht wie immer aufs Haus. Bis denn!« Rasmussen hastete die Treppe hinunter zum Bürobereich.
Stuhr wählte die Treppe hoch zu seinem Zimmer, und als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, suchte er in seinem Handy die Nummer von Dreesen. Wider Erwarten meldete der sich prompt, was Stuhr mehr als verwunderte. »Was ist denn los mit dir? So schnell warst du noch nie am Telefon.« Dreesen entschuldigte sich sofort. »Tut mir leid, ich hatte eigentlich einen anderen Anruf erwartet. Ich führe hier bisweilen auch Beratungen durch, wie dir bekannt sein dürfte.«
Davon wusste Stuhr nichts, und an der plötzlichen Servicefreundlichkeit des Oberamtsrats kamen ihm Zweifel auf. »Du berätst neuerdings Bürger?«
Dreesen versuchte, den Ball flach zu halten. »Nein, natürlich nicht. Ich berate lediglich intern.«
Stuhr konnte sich seinen Spott nicht verkneifen. »Wobei kannst du einen denn beraten? Das wäre ja ganz neu.«
Dreesens Stimme klang nun beleidigt. »Mensch, Stuhr, mach mal halblang. Denkst du denn wirklich, ich hocke den ganzen Tag nur am Schreibtisch herum und lasse die Klötze baumeln?«
Stuhr antwortete lieber nicht, und wenig später lieferte Dreesen den Beratungsanlass nach. »Hier kennen alle meinen Wahlspruch. ›Krank oder genesen, hol dir Rat bei Dreesen.‹ Ich kenne alle Gesetze sowie Verordnungen, und ich kenne auch alle Tricks. Die Kollegen sind für meinen Rat stets dankbar.«
Dreesen schien die Kollegen in arbeitsrechtlichen Fragen zu beraten. »Aber das machst du doch nicht etwa während der Arbeitszeit?«
Dreesen klang jetzt recht ungehalten. »Natürlich mache ich das während der Arbeitszeit, schließlich macht der Dienst die Kollegen erst krank. Wenn die zu Hause bleiben könnten, dann wären sie alle kerngesund.«
Das war starker Tobak. Aber Stuhr erinnerte sich, dass Dreesen früher immer schon während der Dienstzeit zum Friseur gegangen war. ›Meine Haare wachsen ja auch während der Dienstzeit‹, hatte er das lakonisch kommentiert.
Ja, er hatte eben seine Ecken und Kanten, und er legte jetzt noch einmal nach. »Die Beratungen musst du als eine Art Inhouse-Seminar sehen, Stuhr, so nennt man das heute. Es ist natürlich nur inoffiziell, aber die offiziellen Angebote kannst du alle in der Pfeife rauchen. Da geht niemand hin, außer um in geselliger Runde den einen oder anderen Kaffee zu trinken oder einer Kollegin auf den Hintern zu sehen.«
Stuhr musste unfreiwillig lachen. »Ist ja schon gut, Herr Kollege. Ich werde Dr. Rogge morgen früh deine Telefonnummer geben. Du rufst mich sofort an, wenn er etwas von dir will, einverstanden?«
Dreesen stimmte zu, wenngleich nicht ohne Murren.
»Sag mal, hast du schon die Mail mit der Liste geschickt?«, bohrte Stuhr nach.
Dreesen bestätigte, und sie beendeten das Gespräch.
Stuhr zog das Notebook aus seinem Gepäck und stellte eine Internetverbindung her. Kurze Zeit später klingelte es, und er konnte Dreesens Liste öffnen. Beim Überfliegen der etwa 200 Namen stellte er fest, dass beim Buchstaben ›D‹ auch Dr. Rogge eine Erlaubnis hatte, das Watt zu befahren. Zudem kam ihm der Name Duckstein bekannt vor. War das nicht der Fluggast, den Anna Maria Rasmussen so seltsam angesehen hatte und der in Cuxhaven wieder aus dem Flieger gestiegen war? Gegen Ende der Liste verschlug es ihm die Sprache, denn unter ›R‹ tauchte ein Name auf, den er dort nie und nimmer erwartet hätte. Anna Maria Rasmussen. Wozu benötigte ausgerechnet die eine Fahrgenehmigung für das Watt? Wieso stand ihr Name auf der gleichen Liste wie Reinicke, Duckstein und Dr. Rogge? Wusste ihr Mann von der Genehmigung?
Immer der Reihe nach, beruhigte sich Stuhr. Zuerst würde er den Kommissar informieren, und dann würde er im Krankenhaus nach Olli sehen, denn irgendwie musste er mehr über die Rasmussens und diesen Duckstein erfahren. Er selbst würde Dr. Rogge auf den Zahn fühlen.
Verdammt, wen konnte der nur mit der Flachzange gemeint haben?
18 Die Frau des Admirals
Über Mittag hatte Hansen genug Zeit, sich Gedanken über Norbert
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