Ballsaison: Palinskis siebter Fall
nächsten Laden, eine Parfümerie. Die hatten doch sicher einen Festnetzanschluss.
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Palinski hatte Wiegele vom Praterstern aus angerufen und ihn von der bevorstehenden Ankunft beim Stadion informiert. Anselm hatte gebeten, den Wagen vor dem Eingang zum Einkaufszentrum abzustellen, »aber bitte in einiger Entfernung. Aus Sicherheitsgründen«, wie er kritisch betont hatte. Und dann hatte er noch angekündigt, dass es einige Zeit dauern könnte, bis er sich bei den dreien meldete. »Wir müssen vorher noch eine Kleinigkeit erledigen, also wundert euch nicht, wenn es ein wenig dauert .«
Während der Wagen den Kreisverkehr verließ und in die Ausstellungsstraße einbog, donnerten wieder einmal die beiden Euroflyer mit mächtigem Getöse über diesen Teil der Stadt, und Palinski stellte den Ton des Autoradios etwas lauter.
Wie es aussah, wollte die deutsche Mannschaft nach dem unerwarteten Anschlusstreffer der Ösis kein Risiko mehr eingehen und, wie es so schön hieß, den ›Sack jetzt zumachen‹. Entsprechend hysterisch und mit sich überschlagender Stimme kommentierte der semantisch etwas eigenwillig agierende Kommentator die pausenlosen Sturmläufe der Mannen von Kai Uwe Kabella.
»Unsere Burschen kommen jetzt aus der eigenen Hälfte überhaupt nicht mehr heraus«, stellte der Mann fast weinend fest und beschrieb damit den Status quo präzise.
Nun gut, dachte Palinski resignierend, dann müssen wir eben die anderen beiden Gruppenspiele gewinnen. Es war ja von Anfang an klar gewesen, dass das Spiel gegen unsere Nachbarn kein Honiglecken werden würde. Natürlich hatten alle gehofft, und die Hoffnung war es ja auch, die bekanntlich als Letztes starb. Aber jetzt schien es langsam an der Zeit, sich von ihr zu verabschieden. Noch drei, vier Minuten in der zweiten Halbzeit und dann vielleicht noch ein, zwei in der Nachspielzeit. Da durfte man gegen einen in der Schlussphase so überlegenen Gegner keine Wunder mehr erwarten.
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Langsam wurde es Zeit zu handeln. Seine Verfolger waren ihm bereits auf den Fersen, das hatte Johann Friedrich Kehl natürlich längst bemerkt. Er hatte sich für heute eine ganz neue Verkleidung einfallen lassen und gehofft, unerkannt zu bleiben. Offenbar hatte er aber den jungen Burschen unterschätzt, den diese blöden Studenten vor einigen Tagen angeschleppt hatten. Dieser … Harry … war wirklich clever und vor allem ein verdammt guter Beobachter. Aber egal, in wenigen Minuten würde ohnehin alles vorüber sein. Mit etwas Glück würde er sich in dem entstehenden Chaos davonmachen können. Und falls sie ihn nicht in flagranti erwischten, würden sie ihm kaum etwas nachweisen können.
Was war das? Ein Tor der Deutschen in der 89. Minute war von dem hervorragenden Schiedsrichter aus Spanien nicht anerkannt worden? Wegen Abseitsstellung. Na und?
Mein Gott, wenn die wüssten, wie sehr ihm das Spiel am Arsch vorbeiging. Aber für das, war er vorhatte, bedeutete der ganze Trubel der Europameisterschaft, dieses Durcheinander eines Großereignisses, denkbar günstige Voraussetzungen.
Er tippte die Handynummer seines Vaters ein und wartete auf die Verbindung. Der Alte musste unbedingt wissen, wem er das alles zu verdanken hatte, wenn er in Kürze von der Bühne abging. So wie das geplant war.
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Wiegele, der das Telefonat eben beendet hatte, blickte sich suchend nach der »Frau« um, die Harrys Misstrauen erregt hatte. Der Junge war unwahrscheinlich, ging es ihm durch den Kopf. Er hatte selten zuvor einen Menschen erlebt, dessen Beobachtungsgabe in Verbindung mit Logik und Kombinatorik so überzeugend gewesen war. Schon gar nicht bei einem so jungen Menschen.
Der Hauptkommissar, der von Berufs wegen gewohnt war, jede Information und Aussage kritisch auf ihren Gehalt zu überprüfen, hatte keinerlei Zweifel daran, dass Harry mit seinen Schlussfolgerungen recht hatte. Die Frau hatte es auf Konsul Kehl abgesehen. Wie sie das machen wollte, das wussten die beiden allerdings noch nicht.
Plötzlich war ein lauter Knall zu hören, dem zwei, drei weitere folgten. Erschreckt blickte sich Wiegele um, konnte aber die Quelle der Lärmentwicklung nicht ausmachen. Dann passierte aber zweierlei, und zwar fast gleichzeitig.
Der oberste, etwa zwei Meter lange Teil des ›Baums des Lebens‹ neigte sich langsam zur Seite, fiel dann, immer schneller werdend, aus einer Höhe von gut 15 Metern herab und landete direkt auf dem Tisch mit dem Flachbildschirm, auf welchem
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