Baltasar Senner 03 - Busspredigt
dem Mahagonitisch. Auf einem Silbertablett standen Flaschen mit Wasser und Saft, eine Assistentin servierte Kaffee. Der Notar verlas die Namen der Anwesenden und erklärte die Formalien.
»Ich verkünde nun den letzten Willen von Herrn Anton Graf«, trug er mit geschäftsmäßiger Stimme vor. »Ich werde Ihnen den Text des Testaments vorlesen.«
»Können Sie nicht gleich zur Sache kommen?«, fragte Quirin Eder, der schon die ganze Zeit auf seinem Stuhl hin und her rutschte.
Seine Mutter saß neben ihm und nickte bekräftigend.
»Vielleicht zuerst eine Zusammenfassung in einfachen Worten?«
Der Notar sah die Gäste an.
Baltasar, Barbara Spirkl und Rufus Feuerlein gaben ihre Zustimmung.
»Also gut. Ich verzichte vorerst auf die Verlesung und informiere Sie über die Regelungen, die der Verstorbene getroffen hat.« Er blätterte in seinen Papieren. »Herr Rufus Feuerlein, ›mein geschätzter Geschäftspartner‹, wie es Herr Graf formuliert hat …«
»Scheinheiliger Hadalump!«, entfuhr es dem Schuldirektor.
»Bitte mehr Respekt.« Der Notar sah ihn tadelnd an. »Der Erblasser hat bestimmt, dass Herr Feuerlein seine Kunstbücher erhält sowie zwei Glasskulpturen, ›Adam und Eva‹, aus seiner Sammlung.« Er räusperte sich. »Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass diese Gegenstände laut Aussage der Polizei bei einem Einbruch zerstört wurden. Es sind nur noch die Einzelteile …«
Feuerlein sprang von seinem Stuhl auf. »Dieser Saftsack! Selbst im Tod ärgert er mich noch!«
Er ging zur Tür.
»Auf diesen Schrott lass ich einen fahren!«
Die Tür knallte zu.
»Wir nehmen zu Protokoll, dass Herr Rufus Feuerlein auf das Erbe verzichtet«, sagte der Notar, ohne seine Stimmlage zu ändern. »Nächster Punkt: Nachlass für Herrn Baltasar Senner. Herr Pfarrer, Sie erhalten ein Kruzifix, 18. Jahrhundert, unbekannter Künstler, befindlich in der Küche des Verstorbenen.«
Baltasar kannte das Kreuz. Eine Holzschnitzerei.
»Kann ich das Erbe überhaupt annehmen? Wer sagt denn, dass es Anton tatsächlich gehört hat und nicht zum Inventar seiner ehemaligen Glasfabrik zählte?«
»Da kann ich Sie beruhigen, Hochwürden, das Stück gehörte der Familie Graf seit Generationen, was in diesen Aufzeichnungen hier vermerkt ist.« Der Notar sah in seinen Unterlagen nach. »Frau Barbara Spirkl, wohnhaft in Regensburg, erbt einen Goldring mit Perlen, ebenfalls aus dem Familienbesitz, und eine dazu passende Halskette. Der Schmuck soll sich in einem Bankschließfach befinden, zu dem Sie Zugang haben, gnädige Frau. Ist das korrekt?«
Barbara Spirkl bejahte.
»Außerdem hat Herr Graf eine etwas seltsame Bemerkung in sein Testament geschrieben, ich zitiere. ›Was Barbara bisher pro forma gehörte, gehört ihr nun ganz.‹ Können Sie mit dieser Aussage etwas anfangen?«
Sie nickte stumm.
»Frau Charlotte Eder erhält ein Album mit Fotos aus der gemeinsamen Zeit, ebenfalls im Bankschließfach deponiert, ›zur Erinnerung an vergangene Tage‹, wie es Herr Graf formulierte.«
Charlotte Eder sagte nichts und senkte den Kopf. Eine Träne lief ihr über die Wange, ob aus Trauer oder aus Enttäuschung, das wusste nur sie allein.
»Nun zu Herrn Quirin Eder, dem unehelichen Sohn des Erblassers.«
Quirin sah den Notar erwartungsvoll an.
»Herr Eder ist der Haupterbe und erhält das verbliebene Vermögen von Herrn Graf.«
»Ja!« Ein Grinsen machte sich im Gesicht des jungen Mannes breit. »Ich wusste es! Haben Sie eine Aufstellung über sein Vermögen?«
»An dieser Stelle muss ich zu einer etwas umfangreicheren Erklärung ausholen«, sagte der Notar. »Eine Liste der Vermögensgegenstände ist in den Akten, aber hier ergeben sich einige Unstimmigkeiten.«
»Unstimmigkeiten? Was reden Sie? Ist doch alles klar.« Quirin wurde ungeduldig.
»Nun, wir haben ein Schreiben von den Anwälten der Kanzlei Schneider & Partner erhalten, die sich als Konkursverwalter der Angra ausgewiesen haben.«
»Na und?«
»Die Kanzlei meldet Rechte auf Wertgegenstände an, die im Besitz von Herrn Graf waren, die aber zum Konkursvermögen der ehemaligen Glasfabrik gehören. Die Rechtsanwälte haben Nachweise beigefügt. Möchten Sie die Dokumente sehen?«
»Uns interessiert nur, was das konkret bedeutet, nicht wahr, Mutter?«
Charlotte Eder nickte.
Der Notar zog ein Schriftstück hervor.
»Sämtliche Gemälde, die Glasskulpturen und der Kronleuchter gehören Herrn Graf nicht. Sie müssen an die Kanzlei als Verwerter des Angra-Vermögens
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