016 - Frascati mal zwei
1.
»Das ist eine Invasion!«
Haiko Chan, Überlebensspezialist bei Mechanics Inc., nickte betrübt, während er die seltsame Prozession musterte, die soeben, vom Landefeld kommend, den Ankunftsbereich der Mondstation betrat. Sein neuer Bekannter, Don Jaime Lopez de Mendoza Tendilla y Ledesma, hatte nicht Unrecht: Die rund drei Dutzend älteren bis uralten Damen, angetan mit den teuersten Gewändern der neuesten Mode, die für mindestens fünfzig Jahre jüngere Frauen gedacht war und versehen mit den längsten Perlenketten und dem protzigsten Geschmeide, das Haiko Chan jemals gesehen hatte, konnte man gut als ›Invasion‹ bezeichnen. Viele der Damen hatten offensichtlich versucht, durch exzessives Make-up das wettzumachen, was selbst der modernen Schönheitschirurgie nicht mehr gelungen war, mit dem Ergebnis, dass ihre Gesichter starr und wachsbleich wirkten – Jahrtausende alten Mumien ähnlicher als lebenden Menschen.
»Nun, wir sind ja morgen wieder weg«, antwortete Chan und konnte nicht verhindern, dass dabei etwas Wehmut in seiner Stimme mitschwang. Sein vierzehntägiger Urlaub im teuersten und exklusivsten Luxushotel der Welt, dem Luna-Star, das sich genau genommen gar nicht auf ›der Welt‹ befand, sondern auf dem Mond, neigte sich dem Ende zu. Zu verdanken hatte er ihn seinem unmittelbaren Vorgesetzten, Mechanics-Sicherheitschef Clint Fisher, der ihn, nachdem ihn der Überlebensspezialist in einer für Fisher nicht alltäglichen Situation überrascht hatte, zu diesem Urlaub ›verdonnert‹ hatte { * } – und der auch dafür gesorgt hatte, dass der Konzern, der natürlich an dem Hotel beteiligt war, sämtliche anfallende Kosten übernahm. Denn auch das Jahreseinkommen eines Überlebensspezialisten hätte kaum ausgereicht, sich einen einzigen Tag in diesem Etablissement leisten zu können. Dennoch war der überraschende Urlaub für Haiko Chan nach der anfänglichen Aufregung um das Mädchen Mareise, das sich als Agentin von Flibo entpuppt hatte und um ein Haar das Luna-SG gesprengt hätte { * } , nicht nur erholsam, sondern auch teuer. Die überall lauernden Hotelbediensteten waren nämlich horrende Trinkgelder gewohnt und forderten diese gegebenenfalls auch unmissverständlich ein.
Doch morgen früh würde der Urlaub beendet sein – mit dem gleichen Mechanics-Linienraumer PHAETON, der soeben die alten und augenscheinlich schwerreichen Damen gebracht hatte und der einmal pro Woche die Erde mit dem Mond verband, mussten er und sein neuer Bekannter wieder zurückkehren.
»Na, dann werde ich mal meine Koffer packen«, seufzte Chan und Don Jaime Lopez de Mendoza Tendilla y Ledesma, von dem Überlebensspezialisten mit dessen ausdrücklicher Erlaubnis meist nur mit ›Don Jaime‹ angesprochen, nickte wortlos. Der hoch gewachsene Spanier, letzter aber nichtsdestoweniger völlig verarmter Spross eines uralten Adelsgeschlechts, hatte seinen einwöchigen Aufenthalt im Luna-Star in der Lotterie gewonnen. Viel lieber als die Reise anzutreten hätte er sich den Gewinn in Geld auszahlen lassen, von dem er viele Jahre hätte leben können, doch das war zu seinem großen Leidwesen nicht möglich gewesen. So war sein Aufenthalt auf dem Mond bei weitem nicht so unbeschwert verlaufen wie derjenige der meisten anderen Hotelgäste und die Bediensteten machten ihm, der nicht in der Lage war, ein von diesen auch nur annähernd als adäquat erachtetes Trinkgeld zu geben, den ›Urlaub‹ zusätzlich zur Hölle. Zu allem Überfluss hatte er am Tag seiner Abreise von der Erde auch noch eine eingeschriebene E-Mail von der Finanzverwaltung erhalten, in der ihn diese vorsorglich darauf hinwies, dass er seinen Gewinn als geldwerten Vorteil zu versteuern habe, andernfalls man sich gezwungen sähe, für ihn äußerst unangenehme Schritte einzuleiten …
Das ungleiche Paar – der Spanier war mehr als einen Kopf größer als der Mongole – folgte dem »Kaffeekränzchen der Reichen und Gelangweilten«, wie Haiko Chan die Damenriege in Gedanken tituliert hatte, auf dem Weg zum Hotel, das am westlichen Rand der gewaltigen Stahlkuppel gelegen war, die die Mondstation umschloss. Um den an Luxus und Extravaganz gewöhnten Hotelgästen einen Ausblick auf die Umgebung des Erdtrabanten zu ermöglichen, waren in die Kuppel an dieser Stelle riesige Fenster aus hoch verdichtetem Spezialglas eingelassen worden.
Da sich sowohl Haiko Chan als auch Don Jaime mittlerweile an die auf dem Mond herrschenden Schwerkraftverhältnisse gewöhnt
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