Baltasar und andere Begegnungen und Geschichten aus Ecuador
schwülwarmen Küste Guayaquils setzten wir unsere Reise in die kühlere Andenhochebene, der »Sierra«, fort.
Ecuador i st im Vergleich zu seinen südamerikanischen Nachbarn ein kleines Land. Es steht allerdings nicht wie ein winziges unscheinbares Pflänzchen in deren übermächtigen Schatten, sondern wird auch »das Land, der vier Himmelrichtungen« genannt. Klein aber fein und von der Natur reich gesegnet.
In der Sierra führte die Hauptverkehrsader, die Panamericana, durch das bevölkerungsreichste Gebiet Ecuadors. Bergauf und bergab, entlang der steil abfallenden Felder, über den Rücken der Anden und entlang der aufragenden Vulkane. Ein Teilgebiet zwischen den beiden Gebirgszügen der Hochebene hieß deshalb auch nicht ohne Grund »die Straße der Vulkane«.
Der Name klang sehr beschaulich, aber in Anbetracht der ecuadorianischen Ballungsräume und der Verkehrsdichte war auf dieser legendären Straße Beschaulichkeit eher ein Fremdwort. Zumindest auf dem Abschnitt, auf dem wir fuhren.
Wir waren erleichtert, als wir die Panamericana verlassen und auf einen Schotterweg abbiegen konnten. Der sollte laut eines Schildes zum Nationalpark des Vulkans »Cotopaxi« führen.
Indigene Frauen in langen Röcken und mit Filzhüten auf ihren Köpfen gingen vor uns am Wegrand. Sie trugen ihre Kinder in bunten Tragetüchern auf den Rücken. Als sie die Motorengeräusche unseres Wagens hinter sich hörten, machten sie einen weiten Schritt zur Seite direkt ins Gebüsch, ohne sich überhaupt umzudrehen. Alle Verkehrsteilnehmer mussten sich die Straßen und Wege teilen, ob Pferdewagen, Fahrräder, Lastwagen oder Fußgänger. Dabei war die Mehrheit der ecuadorianischen Fahrer zwar als freundlich, aber nicht als sicher und rücksichtsvoll bekannt.
Schafe weideten auf den kargen Grasflächen neben dem Schotterweg. Schweine suhlten sich in kleinen Schlammlöchern und boten damit ebenso ein natürliches Hindernis wie Bachläufe, die zu durchfahren waren. Auf dem staubigen Weg umfuhren wir in Schlangenlinien die Schlaglöcher und passierten den offiziellen Eingang zum »Nationalpark Cotopaxi«. Alles wirkte provisorisch ausgebaut, wie so vieles in Ecuador, wo das geplante Budget häufig in den unendlichen Tiefen der Korruption spurlos versickerte.
Nachdem wir einige Kilometer im Park gefahren waren, verschwanden im Rückspiegel die grünen Wälder in der hügeligen Umgebung und eine weite, flache Ebene mit karger Vegetation eröffnete sich. Die Farben und Linien der Hochebene verliefen sanft und wunderschön ineinander, wie mit Kreide gezeichnet. Dabei war die Entstehung dieses Gebietes alles andere als sanft gewesen, denn vergangene Vulkanausbrüche hatten das Landschaftsbild geprägt. Der Nationalpark, mit seinem fünftausendachthundertsiebenundneunzig Meter hohen aktiven Vulkan Cotopaxi, breitete sich vor uns aus.
Wir fuhren durch den Park, überquerten auf einer schmalen Holzbrücke einen Flusslauf und parkten unseren Camper auf dem Gelände einer kleinen Gästehütte, dessen wohl dosierter Komfort durch das leise Summen eines Generators verraten wurde. Außerdem lebten einige Lamas hier, die neugierig ihre Köpfe reckten und das typische Urlaubsfoto von Südamerika vervollständigten.
An diesen abseits gelegenen Ort im Nationalpark verirrten sich grundsätzlich nur wenige Reisende. Die Mehrzahl bog vorher auf den Weg ab, der zum höchsten erreichbaren Punkt auf viertausendsechshundert Meter Höhe führte und einfacher zu erreichen war.
Zurzeit waren wir die einzigen Besucher, sowohl in der Hütte als auch mit einem Camper. Wir fühlten uns wie im Nirgendwo und waren nur von grandioser Natur umgeben. Es war menschenleer, einsam und völlig still. Bunte Kolibris flogen neugierig wie außerirdische Flugobjekte an uns heran und riesige Kondore über uns hinweg.
Die verbrachten Tage im Nationalpark verstrichen in einer beruhigenden Langsamkeit mit langen Wanderungen, Lesen, Reiseerlebnisse aufschreiben und Fotos anschauen. Wir lernten alle Jahreszeiten innerhalb von vierundzwanzig Stunden kennen: zarte Schneeflocken, eisiger Nachtfrost, wärmender Sonnenschein und kübelweise Regen. Alles im rasanten Wechsel.
Wir hatten zuvor einen erfahrenen ecuadorianischen Bergsteiger kennengelernt und wollten mit ihm, einem weiteren Bergführer und einem Schweizer Reisenden den aktiven Vulkan Cotopaxi besteigen, auf fünftausendachthundertsiebenundneunzig Meter Höhe. Die Bergtour auf den Cotopaxi hatte phantastisch begonnen. Wir
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