Baltrumer Bitter (German Edition)
tun?
Tatsächlich Hilda wecken? Kam gar nicht in Frage. Arnold hätte nie und nimmer
gewollt, dass Hilda quasi gegen ihn ausgetauscht würde. Dieser Anruf war ein
Hilferuf. Ganz klar. In Windeseile zog sie sich an. Sollte sie die Polizei
benachrichtigen? Jede Minute, die sie sinnlos verstreichen ließ, könnte
lebenswichtig sein. Immerhin hatte es auf der Insel in kurzer Zeit zwei Tote
gegeben. Auch wenn die Todesursache noch nicht feststand, wie Kleemann ihr ausweichend
erklärt hatte.
Vorsichtig, um zu dieser Uhrzeit nicht unnötig Lärm zu machen,
lief sie die Treppe in die Küche hinunter. Sie fühlte sich wie nach einem
Hundertmeterlauf. Polizei oder nicht Polizei? Sie goss sich ein Glas Wasser ein
und trank in gierigen Zügen. Ein leichter Kopfschmerz erinnerte sie an die
Kräuterbitter, die sie gestern allein und mit Klara Ufken zusammen getrunken
hatte. Arnolds Kräuterbitter. Ratlos starrte sie auf den Hörer in ihrer Hand.
Was würde Michael sagen, wenn er zu dieser Uhrzeit aus dem Bett geholt wurde?
Aber hatte dieser Kleemann nicht gesagt, dass sie sich zu jeder Zeit melden
dürfte? Ihr Mann, dessen wurde sie sich von Minute zu Minute sicherer, war in
höchster Gefahr. Wobei sie sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte,
worin diese Gefahr lag. In Georg Hanefeld sicher nicht. Oder doch?
Oder stellte sein Kollege ihm aus irgendwelchen Gründen sein
Gartenhaus nur zur Verfügung? Wenn ja, wofür? Sollte der Grund einen weiblichen
Namen haben? Zum Beispiel Thea Holle? Aber warum wollte er dann, dass Hilda
kam? Sie füllte ihr Wasserglas nach. Oder ging sogar von ihrem Mann eine Gefahr
aus? Wieder dachte sie an die beiden Toten. Der Hass auf den Bürgermeister war
in den letzten Tagen bei Arnold stetig gewachsen. Hatte Arnold sich in seinem
Hass zu etwas hinreißen lassen, was er klaren Verstandes nie und nimmer gemacht
hätte?
Aber warum dann dieser Anruf? Wenn er wirklich in Gefahr war,
dann musste sie schnell handeln! Wenn nicht, wenn die Polizei ihn lediglich bei
einem Schäferstündchen ertappte, würde er sich zum Gespött der ganzen Insel machen.
Aber er hatte diesen Satz gesagt. Zufall?
Verzweifelt musste sie feststellen, dass sie so nicht weiterkam.
Ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Frage folgte auf Frage, und auf keine
hatte sie eine Antwort. Sie brauchte Hilfe.
Ihre Hände zitterten, als sie die 910 wählte. Dankbar atmete
sie auf, als sie Michael Röders Stimme hörte. So klar, wie es ihr möglich war,
erklärte sie dem Polizisten den Grund ihres Anrufes. Sie hoffte sehnlichst,
dass der Mann ihre Sorgen ernst nahm, gleichzeitig wünschte sie sich nichts
mehr, als dass Michael ihr mit einem Lachen sagen würde, sie solle sich da man
nicht so reinsteigern. Alles wäre halb so schlimm.
Aber Michael war offensichtlich nicht nach Lachen zumute. »Ist
Hilda bei dir?«, fragte er knapp.
»Ja, ich denke, sie liegt noch im Bett. Soll ich nachsehen?«
Kaum hatte sie den Satz zu Ende gesprochen, lief sie die Treppenstufen zu
Hildas Zimmer hinauf. Vorsichtig öffnete sie die Tür.
Ihre Tochter war bereits aufgestanden und kämmte sich gerade
die Haare.
»Sie ist hier. Was soll ich? Mit ihr reden? Aber Michael, du
weißt doch ganz genau … Okay. Ich werde es versuchen. Ihr meldet euch bitte?«
Das Telefonat hatte sie nicht gerade beruhigt. Am liebsten
hätte sie sich auf ihr Fahrrad gesetzt und wäre zu Hanefeld gefahren. Aber
Michael hatte ihr dringend davon abgeraten. Ja, es hatte sogar fast wie ein
Verbot geklungen. Sie solle sich um Hilda kümmern, hatte er nach kurzer Rücksprache
mit seinen Kollegen gesagt.
»Hallo, Hilda? Hast du gut geschlafen?«
Hilda schüttelte kaum wahrnehmbar den Kopf.
Was sollte Margot tun? Hilda erzählen, dass ihr Vater nach ihr
verlangt hatte? Was würde ihre Tochter wirklich davon verstehen?
»Papa?«
Margot erstarrte.
»Hilda, sag das noch mal!« Sie schrie es fast heraus, doch
Hilda schwieg. Was sollte sie tun? Hilda hatte sich wieder auf ihr Bett
gesetzt. Margot setzte sich dazu und nahm Hilda in den Arm. Dann berichtete sie
ihr von dem Anruf, dem seltsamen Verhalten ihres Vaters. »Er hat gesagt, du
sollst kommen. Zu Georg Hanefeld. Ins Gartenhaus. Ich habe einfach keine
Erklärung dafür«, seufzte sie und merkte, dass sich Hilda verkrampfte.
Sie hatte sich zu Margot umgedreht, ihre linke Hand hatte ihren
Arm umfasst und mit der rechten schlug sie unaufhörlich auf die Bettdecke.
»Nein«, wimmerte sie. »Nein. Nicht Georg. Er hat Frank … In
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