Banana Pancake Trail: Unterwegs auf dem vollsten Trampelpfad der Welt (German Edition)
englische Wörter beherrschte, aß bei McDonald’s und las Schuld und Sühne von Dostojewski. Mir wurde sehr, sehr langweilig, und wieder fragte ich mich, wie diese Reise wohl weitergehen sollte.
Dann kaufte ich für 19,95 Dollar ein Buch, auf dem Lonely Planet Mexico stand, und fuhr Richtung Süden. Von nun änderte sich alles. Luft und Klima wurden warm, die Hotelzimmer billig, und vor allem: Ich traf Menschen. Sie alle waren zwischen 18 und 30. Sie trugen einen Rucksack. Sie reisten mit einem Buch. Sie gaben wenig Geld aus und trugen T-Shirts, die schon sehr lange keine Waschmaschine mehr gesehen hatten. Diese Menschen kamen aus England, Dänemark und Israel, aus Deutschland, Australien und der Schweiz, aus Kanada, Italien und den Niederlanden. Sie alle wollten das Gleiche: Pyramiden fotografieren, Vulkane besteigen, Bier trinken und am Strand herumliegen, Sex haben und weiterfahren. Ich war auf dem Pfad angekommen, den der Kulturwissenschafter John Hutnyk «Banana Pancake Trail» getauft hat, weil diejenigen, die auf ihm wandeln, zum Frühstück etwas Süßes wollen. Ihre Gastgeber passen sich oft – ganz gegen die Gepflogenheiten ihres eigenen Landes, Salziges zu frühstücken – den Gästen an und servieren ihnen Bananenpfannkuchen. Der Banana Pancake ist kulinarisch der kleinste gemeinsame Nenner einer sonst sehr heterogenen Gruppe.
Das folgende Jahr über verließ ich den Pfad nicht mehr. Nun lernte ich jeden Tag junge Engländer, Schweizer, Schweden und Israelis kennen: in billigen, aber sehr gemütlichen und auf unsere Bedürfnisse zugeschnittenen Hotels, in klapprigen Reisebussen, auf den Stufen alter Tempel und am Strand. Wir staunten, feierten, liebten uns. Wir tauschten E-Mail-Adressen aus und vergaßen uns dann genauso schnell wieder, wie wir uns kennengelernt hatten. Wir schwammen zusammen im Mekong, schliefen in mexikanischen Hängematten und besuchten Haschischbauern in den Bergen Marokkos. Diese Leute waren überall, es gab kein Entkommen, ich war nie wieder allein.
So fremd und abenteuerlich es mir anfangs erschienen war, mit einem Rucksack zu reisen, so verrückt und abwegig kam es mir jetzt vor, einen Rollkoffer durch die Gegend zu zerren. Rollkoffer verhält sich zu Rucksack wie Sportwagen zu Offroadjeep. In einer überoptimierten Umgebung, also zum Beispiel einer Autobahn, ist der Sportwagen dem Jeep natürlich haushoch überlegen. Untergrund und Transportmittel sind hier aufeinander abgestimmt. Sobald er aber seine eigens für ihn gemachte Welt verlässt, versagt er. Ein Rollkoffer mag bequem und schnell sein auf Flughafen- und Cityhotel-Böden; doch einmal aus seiner zivilisierten Umgebung herausgerissen, ist der Rollkoffer hilflos wie ein Porsche 911 auf einem Acker. Ein Rucksack dagegen mag in einer stylischen Hotellobby etwas grobschlächtig daherkommen, doch dafür versagt er weder im Sumpf noch in der Wüste, noch auf einer staubigen Buckelpiste in Kambodscha. Der Rollkoffer ist fein und manieriert, der Rucksack ein vierschrötiger, aber ehrlicher Geselle.
Menschen, die ihr Gepäck also bevorzugt auf einer sauberen, reibungsarmen Unterfläche mit möglichst wenig Kraftaufwand hinter sich herziehen möchten, begeben sich besser nicht auf den Banana-Pancake-Pfad. Sie fliegen stattdessen nach Dubai, Zürich oder Düsseldorf. Sie nehmen viel Geld mit, übernachten in Designhotels und essen Gerichte wie «in Rotwein pochierte Entenleberterrine mit Apfelpüree und Périgord-Trüffel» anstelle eines Bananenpfannkuchens. Sie vermuten das Glück dort, wo es ihnen nicht viele streitig machen können, denn nicht jeder hat so viel Geld wie sie. Sie lassen sich ruhig auch mal «saturierter Schnösel» schimpfen und quittieren diese Beschimpfung mit einem arrogant-gönnerhaften Lächeln. Sie gehören ins Trolleyland. Dort, im Reich der Rollkoffer, haben die Reisenden feste Ziele und kaum Fragen.
Menschen dagegen, die mit einem Rucksack voller ungewaschener T-Shirts, Akku-Ladegeräte und Bücher reisen, haben kein Ziel, dafür aber sehr viele Fragen. Zum Beispiel:
Was ist der Sinn des Lebens?
Was brauche ich wirklich?
Muss ich unbedingt studieren, arbeiten und Geld verdienen?
Kann ich nicht auch einfach nur rumhängen?
Wie arm sind Leute in der Dritten Welt?
Sind die am Ende glücklicher als wir?
Warum sind Belgier ein bisschen komisch?
Kann ich vor meinen Freunden angeben, wenn es mir gelingt, mit einer Asiatin zu schlafen?
Leben in China nur reisbetriebene Roboter?
Wer bin ich?
Wenn
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