Bangkok Tattoo
bin, lasse ich Lek allein bei meiner Mutter zurück und gehe mit der letzten Portion Heuschrecken die Treppe hinauf.
Chanya wirkt nach ihrem langen Schlummer wunderbar erholt und thront, nur mit einem übergroßen T-Shirt bekleidet, im halben Lotussitz mit dem Rücken zur Wand auf dem Bett. Ich halte ihr die offene Tüte hin, und sie fischt sich ein besonders fettes Insekt heraus. Dann bedenkt sie mich mit einem kumpelhaften Lächeln, bei dem nur die Reste eines haarigen Beins in ihrem Mundwinkel stören. Abgesehen von ihrem ein wenig nervösen Blick entdecke ich, als ich ihr ihre Aussage reiche, keine Hinweise auf das Gemetzel in ihrem Gesicht. (Der Vorteil einer Kultur der Scham im Vergleich zu einer der Schuld liegt darin, daß man sich erst dann schlecht zu fühlen beginnt, wenn die Kacke wirklich am Dampfen ist.)
Nachdem sie den Text aufmerksam gelesen hat, hebt sie den Blick. »Hast du das geschrieben? Das ist deine Handschrift.«
»Der Colonel hat’s mir diktiert.«
»Colonel Vikorn? Der Mann ist ein Genie. Genau so ist’s passiert.«
»Tatsächlich?«
»Die Aussage stimmt bis ins letzte Detail, bloß daß er Budweiser, nicht Mekong-Whiskey getrunken hat.«
»Das ist nebensächlich. Es lohnt sich nicht, daran was zu ändern. Die Sache mit dem Mekong bestätige ich, falls jemand fragt. Ich stand ja hinter der Bar.«
Wieder dieses stahlschmelzende Lächeln: »Dann ist ja alles in Ordnung.«
Ich räuspere mich und versuche, ihre lange schwarze Mähne nicht allzu traurig zu betrachten. »Eins wäre da allerdings noch – du wirst dir die Haare schneiden und eine Weile verschwinden müssen. Leg dir ein paar Monate lang eine andere Identität zu, bis wir wissen, woher der Wind weht.«
Ein Achselzucken und ein Lächeln. »Wenn der Colonel meint.«
»Du kannst hier wieder anfangen, sobald es geht. Aber zuerst müssen wir herausfinden, was die Amerikaner machen, wenn sie merken, daß der Typ tot ist. Wir wissen ja noch nicht, wie wichtig er für sie war. Du verstehst doch das Problem, oder?«
»Natürlich. Wahrscheinlich schneide ich mir die Haare ganz ab – ich wollte immer schon mal im Kloster meditieren. Vielleicht mache ich einen Kurs irgendwo oben im Norden.«
»Wunderbar«, sage ich, obwohl der Gedanke, daß sie bald keine Haare mehr haben wird, mich fast zum Weinen bringt. Nun folgt kurzes, verlegenes Schweigen. »Chanya, wenn du nicht möchtest, mußt du mir das nicht sagen, aber falls du drüben in den Staaten irgendwas angestellt hast, worüber wir Bescheid wissen sollten …«
Sie bedenkt mich mit einem unschuldigen Blick. »Ich hab dort gearbeitet, was sonst? Es gab gutes Geld, besonders in Las Vegas. Amerika ist ein tolles Land, wenn auch ein bißchen oberflächlich. Nach einer Weile war mir langweilig. Ich wollte wieder nach Hause, sobald ich genug für ein eigenes Haus in Surin und den Ruhestand zurückgelegt hätte, aber der elfte September kam mir dazwischen. Ich bin früher nach Thailand zurückgekehrt als geplant, und aus familiären Gründen brauchte ich mehr Geld. Hier bin ich gelandet, weil ich dich als Papasan mag und deine Mutter eine gute Chefin ist. Die Arbeit in eurem Club macht Spaß.«
Die Versuchung, sie nach den genauen Geschehnissen des vergangenen Abends zu befragen, ist groß, aber die berufliche Disziplin, erlernt von meinem Meister Vikorn, hilft mir, sie niederzuringen. Selbst nach Thai-Maßstäben erscheint Chanyas Gelassenheit ungewöhnlich, um nicht zu sagen unheimlich. Ich fürchte, mein Lächeln wirkt ein klein wenig befremdet, als ich sie mit ihrer Aussage und der Portion Heuschrecken zurücklasse. Ich frage sie nicht einmal mehr nach dem Opium, weil das ja offiziell nicht existiert. Die Pfeife hat sie verschwinden lassen, das ist mir aufgefallen.
Unten trocknet Lek im Auftrag meiner Mutter Gläser ab. Ich werfe einen Blick auf die Uhr und schalte das Radio ein, um mir Pisits Sendung anzuhören. Jeder Polizist von District 8 lauscht ihm heute, denn Pisit hat angekündigt, daß er interessante Neuigkeiten über den stadtbekannten ewigen Kampf zwischen unserem geliebten Colonel Vikorn und dem Gauner General Zinna habe, der gerade seine mutmaßliche Verwicklung in den Heroin- und Morphiumhandel großen Stils vor Gericht erklären mußte, aber ungeschoren davonkam. Die Richter schenkten seiner Behauptung Glauben, die Polizei, insbesondere Colonel Vikorn, habe ihm die Sache angehängt.
Pisit beginnt die Sendung mit dem Hinweis, daß die Drogenrivalitäten
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