Bangkok Tattoo
Rauch einsaugt, und zuckt dann mit den Achseln.
»Das kann viele Ursachen haben. Die Mädchen durchlaufen mehrere Phasen. Am Anfang glauben sie, was die Kunden ihnen erzählen, und erleben einen richtigen Ego-Trip, bis sie sich eines Tages zu fragen beginnen, ob nicht die Kerle sie ausnutzen statt umgekehrt. Wie überall im Dienstleistungsbereich weiß niemand jemals so richtig, wer wen über den Tisch zieht. Aber die Phase geht vorüber, und dann fangen sie an, beruflichen Stolz zu entwickeln – sie wollen Stars werden, weil es kein anderes Ziel gibt.« Meine Mutter stößt bedächtig den Rauch aus. »Irgendwann wird ihnen klar, daß die Zeit nicht stehenbleibt, jüngere Frauen mehr Aufmerksamkeit erhalten, größere Stars in der Bar zu arbeiten beginnen. Meist folgen nun Depressionen, bis sie sich endlich mit ihrem Leben abfinden.«
Ich runzle die Stirn. »Aber davon scheint nichts auf Chanya zuzutreffen.«
»Tja, ich weiß. Die Phasen hat sie alle schon längst hinter sich. Professionalismus wie dem ihren bin ich noch nie begegnet. Wahrscheinlich leidet sie unter dem Burnout-Syndrom. Ich hab das auch mal erlebt. Man wird zum Opfer des eigenen Erfolgs, weil man leicht vergißt, daß man für Geld bumst. Das ganze Leben dreht sich um den Penis, man wird genauso besessen davon wie die Männer. Und plötzlich baut sich im Innern eine Sperre auf. Manche Frauen flippen aus. Ich mußte selber ein ganzes Jahr aussetzen, als du zehn warst – vielleicht erinnerst du dich noch; die Zeit haben wir bei Oma auf dem Land verbracht. Irgendwann ist uns dann das Geld ausgegangen, da mußte ich wieder anfangen, aber es war nicht mehr so wie früher. Ich beobachte schon eine ganze Weile, daß auch Chanya sich diesem Punkt nähert.«
Warum wünsche ich mir nur weniger Sachlichkeit von ihr? Manchmal fällt mir das Atmen in ihrer Gegenwart schwer.
»Du meinst also, sie ist einfach ausgeflippt?«
»Ja. Vielleicht war er besonders widerlich, aber damit hätte sie umzugehen gewußt. Allerdings haben es die Mädchen irgendwann satt, sich zu verstellen. Manchmal sehnen sie sich nach einem echten Showdown. Ich glaube, es war sein Messer – eine willkommene Ausrede. Sie hat’s in seinem Zimmer gesehen, und plötzlich war sie von einem Dämon getrieben. So deute ich die Geschichte.«
»Wenn es tatsächlich sein Messer ist und er so groß und muskulös, käme auch ohne Vikorns Hilfe niemand auf die Idee, daß es sich um etwas anderes als Notwehr gehandelt haben könnte, oder?«
»Genau. Deswegen bin ich ja immer noch wütend auf sie. Mit ihrer Intelligenz hätte sie die Sache verhindern, sich genau wie ich eine Weile zurückziehen können, um Distanz zu gewinnen. Schließlich hat sie Geld und kein Kind, um das sie sich kümmern muß. Aber sie ist süchtig nach dem Spiel, das sieht man. Es ist in allen Berufen das gleiche: Wenn jemand feststellt, daß er außergewöhnliches Talent besitzt, kann er nicht mehr aufhören. Irgendwann geht’s nur noch um die Jagd, nicht mehr ums Geld.«
»Aber wie hat sie’s angestellt? Der Mann war ziemlich groß und kräftig.«
Ein Lächeln. »Sie ist schlank und durchtrainiert und viel schneller als er mit seinen Muskelpaketen. Außerdem hat er nicht damit gerechnet.« Ein schneller Blick in meine Richtung. »Ich glaube, er war schon tot, als sie ihm das Glied abgeschnitten hat. Sozusagen als Trophäe.«
»Und die Häutung?«
Meine Mutter zuckt mit den Achseln. Wir heben beide den Blick, als Lek vom Hof hereinkommt, wo er für Nong die leeren Bierträger gestapelt hat. Er sieht mich erwartungsvoll an.
Obwohl ich eigentlich nicht die nötige Energie habe, begleite ich ihn zu dem wat in der Nähe des Polizeireviers. Jeder Thai besitzt bei genauerer Betrachtung ein gerüttelt Maß an Aberglauben, und Menschen wie Lek sind in dieser Hinsicht besonders extrem. Nach einem Tag in so unmittelbarer Nähe des Todes ist er nervös: Noch länger möchte er das Schicksal nicht herausfordern. Wir gehen schnellen Schrittes zu dem Tempel und erwerben Lotusblüten, Früchte und Kerzen von den Händlern vor der Tür. Lek absolviert das Ritual gewissenhaft-anmutig, kniet nieder, die Hände zu einem tiefen wai aneinandergelegt, die Augen geschlossen, und betet wohl eher als daß er meditiert.
Er nimmt sich so viel Zeit, daß ich ihn allein zurücklasse und zum Revier gehe, wo man mir mitteilt, Vikorn wolle mich sehen, vermutlich des Turner-Falls wegen. Doch er möchte über Lek reden. Er sitzt unter einem Foto des
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