Barcelona 01 - Der Schatten des Windes
hier bei mir gewesen, vor wenigen Sekunden. Bea lächelte, ohne etwas zu sagen. Die Krankenschwester, die mir den Puls fühlte, schüttelte langsam den Kopf und erklärte, ich hätte sechs Stunden geschlafen und sie habe die ganze Zeit an ihrem Schreibtisch gegenüber meinem Zimmer gesessen und währenddessen habe niemand mein Zimmer betreten.
Als ich an diesem Abend einzuschlafen versuchte, drehte ich den Kopf auf dem Kissen und stellte fest, daß das Etui offen und der Füller verschwunden war.
MÄRZWASSER 1956
Bea und ich heirateten vier Monate später in der Kirche Santa Ana. Señor Aguilar, der immer noch höchst einsilbig zu mir war und es wohl bis ans Ende der Zeiten bleiben würde, hatte mir angesichts der Unmöglichkeit, meinen Kopf auf dem Tablett serviert zu bekommen, die Hand seiner Tochter gewährt. Beas Verschwinden hatte ihm schlagartig die Wut genommen, und jetzt schien er in einem Zustand dauernden Schreckens zu leben und sich damit abgefunden zu haben, daß sein Enkel mich bald Papa nennen und das Leben ihm durch einen von einer Schußwunde genesenen schamlosen Kerl das Mädchen wegnehmen würde, das er trotz seiner Bifokalbrille noch immer wie am Tag der Erstkommunion sah und keinen Tag älter. Eine Woche vor der Feier fand er sich in der Buchhandlung ein, um mir eine goldene Krawattennadel zu schenken, die seinem Vater gehört hatte, und um mir die Hand zu geben.
»Bea ist das einzige Gute, was ich in meinem Leben zustande gebracht habe«, sagte er. »Paß mir gut auf sie auf.«
Mein Vater begleitete ihn zur Tür und schaute ihm mit der Melancholie, die gleichzeitig und unverhofft alt gewordene Männer weich macht, nach, wie er durch die Calle Santa Ana davonging.
»Er ist kein schlechter Mensch, Daniel«, sagte er. »Jeder liebt auf seine Weise.«
Dr. Mendoza, der bezweifelte, daß ich mich länger als eine halbe Stunde auf den Füßen halten konnte, hatte mich darauf aufmerksam gemacht, daß die Strapazen einer Hochzeit und deren Vorbereitungen nicht die beste Arznei waren, um einen Menschen zu kurieren, der im Operationssaal beinahe sein Leben gelassen hätte.
»Machen Sie sich keine Sorgen«, beruhigte ich ihn, »man läßt mich nichts machen.«
Das war nicht gelogen. Fermín Romero de Torres hatte sich zum absoluten Diktator und Faktotum von Zeremonie, Bankett und Drumherum aufgeschwungen. Als der Pfarrer bemerkte, daß die Braut schwanger an den Altar trat, weigerte er sich rundweg, die Eheschließung vorzunehmen, und drohte damit, die göttliche Vorsehung anzurufen, damit sie dem Ganzen einen Riegel vorschöbe. Fermín wurde fuchsteufelswild, zerrte ihn vor den Augen der spärlichen Hochzeitsgesellschaft aus der Kirche und schrie in alle Himmelsrichtungen, er sei des Ordensgewandes und der Gemeinde unwürdig, und wenn er sich seiner Pflicht widersetze, werde er im Bistum einen Skandal vom Zaun brechen, der ihm eine Verbannung auf den Felsen von Gibraltar eintrüge, wo er in all seiner Schäbigkeit die ältesten Äffinnen zum Christentum bekehren könne. Mehrere Passanten klatschten Beifall, und der Blumenhändler auf dem Platz schenkte ihm eine weiße Nelke, die er sich sogleich ins Revers steckte und so lange trug, bis die Blütenblätter die Farbe des Hemdkragens angenommen hatten. Da standen wir nun ohne Pfarrer, und Fermín ging in die San-Gabriel-Schule, um Pater Fernando Ramos anzuheuern, der zeitlebens noch keine Hochzeit zelebriert hatte und dessen Fachgebiet neben den klassischen Sprachen schwedische Gymnastik war.
»Eminenz, der Bräutigam ist sehr schwach, und ich darf ihm jetzt keinen weiteren Verdruß bereiten. Er sieht in Ihnen eine Reinkarnation der großen Kirchenväter dort oben, mit dem heiligen Thomas, dem heiligen Augustin und der Jungfrau von Fatima. Auch wenn Sie es nicht glauben, der Junge ist wie ich, überaus fromm. Ein Mystiker. Wenn ich ihm jetzt sage, daß Sie mir einen Korb geben, müssen wir anstatt einer Hochzeit womöglich eine Beerdigung abhalten.«
»Wenn es so ist, wie Sie sagen …«
Wie mir später erzählt wurde – ich selbst erinnere mich nicht daran, und an Hochzeiten wollen sich ja immer die andern unbedingt genauer erinnern –, füllten Don Gustavo Barceló und die Bernarda den armen Priester vor der Feier nach Fermíns genauen Anweisungen mit Muskateller, damit er schön locker würde. Als der entscheidende Moment gekommen war, hielt Pater Fernando, auf dessen vorteilhaft rosigem Gesicht ein seliges Lächeln leuchtete, in einem Aufschwung
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