Barcelona 01 - Der Schatten des Windes
protokollarischer Zügellosigkeit dafür, die Lektüre eines der beiden Korintherbriefe durch ein Liebesgedicht zu ersetzen, Sonett eines gewissen Pablo Neruda, den einige der von Señor Aguilar Geladenen als Kommunisten und Kulturbolschewiken identifizierten, während andere im Meßbuch nach diesen ungewöhnlich schönen heidnischen Versen blätterten und sich fragten, ob sich schon die ersten Auswirkungen des künftigen Konzils abzuzeichnen begännen.
Einige Tage vor der Hochzeit hatte Fermín, Architekt des Ereignisses und Zeremonienmeister, angekündigt, er habe für mich einen Polterabend organisiert, zu dem nur er und ich eingeladen seien.
»Ich weiß nicht, Fermín. Solche Dinge sagen mir …«
»Vertrauen Sie mir.«
Am angezeigten Abend folgte ich ihm gehorsam zu einem schmutzigen Lokal in der Calle Escudellers. Eine Gruppe Damen von weitem Erfahrungshorizont empfing uns mit strahlendstem Lächeln.
»Wir holen die Rociíto«, verkündete Fermín.
»Fermín«, flüsterte ich erschrocken, »um Himmels willen …«
»Haben Sie nur Vertrauen.«
Flink erschien die Rociíto in einem roten Kunstseidenkleid und all ihrer Pracht, die ich nahe bei neunzig Kilos ansiedelte, und nahm eine gewissenhafte Bestandsaufnahme von mir vor.
»Hallo, mein Herzchen. Ich habe mir dich älter vorgestellt, denk dir nur.«
»Das ist nicht der in Rede Stehende«, stellte Fermín richtig.
Da begriff ich die Art der Verwirrung, und meine Ängste schwanden. Fermín vergaß nie ein Versprechen, besonders wenn es von mir stammte. Zu dritt suchten wir ein Taxi, das uns zum Altenheim Santa Lucía bringen sollte. Aus Rücksicht auf meinen Gesundheitszustand und meine Stellung als Verlobten hatte mir Fermín den Beifahrersitz abgetreten und teilte nun die hintere Bank mit der Rociíto, deren Offensichtlichkeiten er mit beträchtlicher Wonne abwog.
»Toll siehst du aus, Rociíto. Von diesem gebirgigen Hintern könnte sich Rubens eine Scheibe abschneiden.«
»Ach, Señor Fermín, seit Sie sich eine Freundin zugelegt haben, lassen Sie mich links liegen, Sie Spitzbube.«
»Rociíto, du bist ein gewaltiges Weibsbild, und ich halte es mit der Monogamie.«
»I wo, die heilt Ihnen die Rociíto mit ein paar Peniszillinreibungen.«
Wir kamen zum Heim in der Calle Montcada, als Mitternacht schon vorüber war, und schleusten die Rociíto durch die Hintertür hinein, die benutzt wurde, um die Verstorbenen durch ein Gäßchen wegzuschaffen, wo es aussah und roch wie in der Speiseröhre der Hölle. Hier gab Fermín der Rociíto die restlichen Anweisungen, während ich das Altchen suchte, dem ich einen letzten Tanz mit Eros versprochen hatte, ehe Thanatos ihm die Schlußrechnung präsentierte.
»Denk dran, Rociíto, der Opa ist ein wenig schwerhörig, also sprich laut, deutlich und schweinisch mit ihm – und schelmisch, wie du es so gut verstehst, aber übertreib nicht, er soll ja nicht vorzeitig mit einem Herzstillstand dem Himmelreich überantwortet werden.«
»Nur ruhig, mein Schatz, man ist schließlich ein Profi.«
Ich fand den Begünstigten dieser Leihliebe in einem Winkel im ersten Stock, einen weisen, hinter Mauern der Einsamkeit verschanzten Eremiten. Er schaute auf und sah mich verwirrt an.
»Bin ich tot?«
»Nein, Sie leben. Erinnern Sie sich nicht an mich?«
»An Sie erinnere ich mich wie an meine ersten Schuhe, junger Mann, aber als ich Sie so leichenblaß gesehen habe, habe ich gedacht, Sie sind eine Vision aus dem Jenseits. Nehmen Sie es mir nicht übel. Hier verliert man, was Sie dort draußen Unterscheidungsvermögen nennen. Sie sind also keine Vision?«
»Nein. Die Vision habe ich unten für Sie bereit, wenn Sie so gut sein wollen.«
Ich führte ihn zu einer düsteren Zelle, die Fermín und die Rociíto mit ein paar Kerzen und einigen Parfümspritzern hergerichtet hatten. Als unser Eremit den Blick auf Rociítos überbordende Schönheit richtete, erleuchteten Traumparadiese sein Gesicht.
»Gott segne Sie.«
»Und Ihnen viel Spaß«, sagte Fermín.
Ich sah, wie die Rociíto den Alten mit unendlicher Zärtlichkeit in die Arme nahm und ihm die Tränen von den Backen küßte. Fermín und ich zogen uns von der Bildfläche zurück. Auf unserem Gang durch diese Galerie der Hoffnungslosigkeit begegneten wir Schwester Emilia, einer der Nonnen, die das Heim führten. Sie warf uns einen aufgebrachten Blick zu.
»Einige Insassen sagen mir, Sie haben eine Nutte eingeschmuggelt, und jetzt wollen sie auch eine.«
»Ehrwürdigste Schwester, wofür halten Sie
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