Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
Rotstift in der Hand, musterte mich kühl. Ich wollte schlucken, aber mein Mund war wie ausgedorrt. Don Basilio ergriff die Blätter und gab sie mir zurück. Ich nahm sie entgegen und wandte mich so schnell wie möglich mit dem Gedanken zur Tür, in der Lobby des Hotels Colón werde ein weiterer Schuhputzer allemal sein Auskommen finden.
»Bringen Sie das in die Setzerei runter, und dann soll man es prägen«, sagte die Stimme hinter mir.
In der Annahme, brutal zum Narren gehalten zu werden, drehte ich mich um. Don Basilio zog seine Schreibtischschublade auf, zählte zehn Peseten ab und legte sie auf den Tisch.
»Das ist für Sie. Ich empfehle Ihnen, sich damit ein neues Anzüglein machen zu lassen – seit vier Jahren sehe ich Sie in derselben Kluft, und sie ist Ihnen immer noch sechs Nummern zu groß. Wenn Sie mögen, gehen Sie zu Señor Pantaleoni in dessen Schneiderei in der Calle Escudellers und sagen Sie ihm, ich hätte Sie geschickt. Er wird Sie gut behandeln.«
»Vielen Dank, Don Basilio. Das werde ich tun.«
»Und schreiben Sie mir eine weitere solche Erzählung. Diesmal gebe ich Ihnen eine Woche. Aber schlafen Sie mir nicht ein. Und bitte mit weniger Toten – der Leser von heute will einen verzuckerten Schluss, bei dem die Größe des menschlichen Geistes den Sieg davonträgt, und all diesen Zinnober.« »Ja, Don Basilio.«
Der stellvertretende Chefredakteur nickte und gab mir die Hand.
»Gute Arbeit, Martín. Am Montag will ich Sie an Juncedas ehemaligem Tisch sehen, das ist jetzt Ihrer. Sie kommen in die Vermischten Meldungen.«
»Ich werde Sie nicht enttäuschen, Don Basilio.«
»Nein, enttäuschen werden Sie mich nicht. Sie werden mich im Regen stehen lassen, früher oder später. Und Sie werden gut daran tun – Sie sind kein Journalist und werden es nie sein. Aber Sie sind auch noch kein Kriminalautor, obwohl Sie es meinen. Bleiben Sie eine Zeit lang hier, und wir werden Ihnen zwei, drei Dinge beibringen, die man immer brauchen kann.«
Einen kurzen Augenblick verlor ich die Selbstbeherrschung, und es befiel mich ein so enormes Gefühl der Dankbarkeit, dass ich diesen Koloss am liebsten umarmt hätte. Don Basilio, die wilde Maske wieder zurechtgerückt, heftete einen scharfen Blick auf mich und deutete zur Tür.
»Keine Sentimentalitäten bitte. Machen Sie zu, wenn Sie hinausgehen. Von außen. Und fröhliche Weihnachten.«
»Fröhliche Weihnachten.«
Als ich am nächsten Montag in die Redaktion kam, um mich zum ersten Mal an meinen eigenen Schreibtisch zu setzen, fand ich einen braunen Umschlag mit einer Schleife vor und darauf meinen Namen in der Schrift, die ich von jahrelangem Abtippen her kannte. Ich riss ihn auf. Darin steckte die letzte Seite der Sonntagsausgabe, auf der meine Geschichte eingerahmt und mit folgender Notiz versehen war:
»Das ist erst der Anfang. In zehn Jahren werde ich der Lehrling und du der Meister sein. Dein Freund und Kollege Pedro Vidal.«
2
Mein literarisches Debüt bestand die Feuertaufe, und Don Basilio hielt Wort und gab mir die Chance, zwei weitere Erzählungen ähnlicher Art zu publizieren. Bald beschloss die Chefredaktion, meinem strahlenden Talent allwöchentlich Raum zur Entfaltung zu geben, vorausgesetzt, ich käme weiterhin pünktlich und zum selben Entgelt meinen Redaktionsverpflichtungen nach. Berauscht von Eitelkeit und Erschöpfung, verbrachte ich den Tag mit dem Umschreiben von Texten meiner Kollegen und dem hastigen Abfassen zahlloser Schreckensmeldungen, um danach die Nacht für mich zu haben. Mutterseelenallein im Redaktionssaal verfasste ich eine operettenhafte Abenteuerserie, die mir schon lange im Kopf herumging und die eine schamlose Kreuzung zwischen Dumas, Sue, Féval und Stoker darstellte: Die Geheimnisse von Barcelona lautete ihr Titel. Ich schlief täglich etwa drei Stunden und sah aus, als hätte ich das in einem Sarg getan. Diesen Hunger, der nichts mit dem Magen zu tun hat, sondern einen von innen her auffrisst, hatte Vidal nie gekannt, und er fand, ich verbrenne mir das Hirn und würde, wenn ich so weitermache, noch vor meinem zwanzigsten Geburtstag meine eigene Beerdigung feiern. Don Basilio, den mein Fleiß nicht störte, hatte andere Vorbehalte. Er druckte jedes Kapitel nur zähneknirschend ab, ärgerlich über das, wie er fand, Übermaß an krankhafter Phantasie und die unglückselige Vernachlässigung meines Talents zugunsten von Themen und Inhalten zweifelhaften Geschmacks.
Bald gebaren Die Geheimnisse von
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