Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
mir Don Odón und Gattin aufgedrängt hatten, ging ich wieder nach Hause. Die Ladeninhaber hatten mir für Isabellas Unterhalt Geld geben wollen, was ich ablehnte. Mein Plan bestand darin, sie in weniger als einer Woche zum Schlafen wieder nach Hause zu schicken, auch wenn ich dazu die Vorstellung aufrechterhalten musste, tagsüber sei sie meine Assistentin. Es würde mir dadurch kein Zacken aus der Krone fallen.
Als ich nach Hause kam, saß sie am Küchentisch. Sie hatte alle Teller vom Vorabend gespült, Kaffee gemacht und sich angezogen und gekämmt wie eine Bilderbuchheilige. Isabella, die ja nicht auf den Kopf gefallen war, wusste ganz genau, woher ich kam, rüstete sich mit ihrem besten Hundeblick und lächelte mich unterwürfig an. Ich stellte die Tüten mit Don Odóns Delikatessen auf den Spülstein und sah sie an.
»Mein Vater hat nicht mit der Flinte auf Sie geschossen?«
»Die Munition ist ihm ausgegangen, und so hat er mit diesen Marmeladegläsern und Käsestücken nach mir geworfen.«
Sie presste die Lippen zusammen und machte ein entsprechendes Gesicht.
»Also kommt der Name Isabella von der Großmutter?«
»Die mamma «, bestätigte sie. »In ihrem Viertel hieß sie la Vesuvia.«
»Das glaube ich gern.«
»Ich gleiche ihr, scheint’s, ein wenig. Was den Dickkopf angeht.«
»Deine Eltern sind gute Leute, Isabella. Sie verstehen dich nicht weniger als du sie.«
Sie sagte nichts, sondern schenkte mir eine Tasse Kaffee ein und wartete auf das Urteil. Ich hatte zwei Möglichkeiten: Sie vor die Tür zu setzen und das Krämerehepaar tot umfallen zu lassen oder in den sauren Apfel zu beißen und mich zwei, drei Tage in Geduld zu üben. Wahrscheinlich würden achtundvierzig Stunden meiner zynischsten, schneidendsten Art genügen, um die eiserne Entschlossenheit des jungen Mädchens ins Wanken zu bringen und zu erreichen, dass sie zurück an den Rockzipfel ihrer Mutter floh und sie auf Knien um Verzeihung sowie Kost und Logis bat.
»Für den Moment kannst du hierbleiben …« »Danke!«
»Nicht so voreilig. Du kannst bleiben unter der Bedingung, dass du erstens jeden Tag in den Laden gehst, um deinen Eltern guten Tag zu sagen und sie wissen zu lassen, dass es dir gut geht, und zweitens, dass du mir gehorchst und die Hausregeln befolgst.«
Das klang zwar patriarchalisch, aber auch viel zu zaghaft. Ich wahrte meinen mürrischen Ausdruck und beschloss, den Ton etwas anzuziehen.
»Welches sind denn die Hausregeln?«
»Grundsätzlich das, was mir gerade in den Sinn kommt.«
»Scheint mir gerecht.« »Also abgemacht.«
Sie ging um den Tisch herum und umarmte mich dankbar. Ich spürte die Wärme und die festen Formen ihres jungen Mädchenkörpers an meinem. Sanft schob ich sie mindestens einen Meter von mir weg.
»Die erste Regel lautet, dass das hier nicht Betty und ihre Schwestern ist und dass wir uns hier weder umarmen noch bei erstbester Gelegenheit in Tränen ausbrechen.«
»Wie Sie wollen.«
»Das wird das Motto sein, auf das wir unser Zusammenleben gründen: Wie ich will.«
Isabella lachte und huschte in den Flur hinaus. »Wo gehst du hin?«
»Ins Arbeitszimmer, um sauber zu machen und aufzuräumen. Es soll doch wohl nicht so bleiben, wie es ist, oder?«
11
Ich brauchte unbedingt einen Ort, wo ich nachdenken konnte und vom häuslichen Eifer und der Putzwut meiner neuen Assistentin verschont blieb. Ich fand ihn unter den Spitzbögen in der großen Halle der Bibliothek, die im ehemaligen mittelalterlichen Hospiz in der Calle del Carmen untergebracht war. Den Rest des Tages verbrachte ich inmitten von Büchern, die nach päpstlicher Gruft rochen, und las in Mythologien und Religionsgeschichten, bis meine Augen auf den Tisch zu purzeln drohten. Nach stundenlanger ununterbrochener Lektüre überschlug ich, dass ich kaum ein Millionstel dessen angekratzt hatte, was unter den Bögen dieses Bücherheiligtums zu finden war, ganz zu schweigen von dem, was über das Thema insgesamt geschrieben worden war. Ich beschloss, am nächsten Tag wiederzukehren, ebenso am übernächsten und so mindestens eine ganze Woche, um den Dampfkessel meines Denkens mit Abertausenden Seiten über Götter, Wunder und Prophezeiungen, Heilige und Erscheinungen, Offenbarungen und Mysterien anzuheizen. Alles, nur nicht an Cristina und Don Pedro und ihr Eheleben denken.
Da ich nun eine emsige Assistentin hatte, wies ich sie an, sich Kopien von den Katechismen und Schulbüchern zu verschaffen, die in der Stadt für den
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