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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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improvisierte ich ein Resteessen. In den nahezu dreißig Minuten, die ich wartete, bis Isabella aus dem Bad kam, trank ich eine halbe Flasche Wein. Durch die Wand hörte ich sie wütend weinen. Als sie mit geröteten Augen in der Küchentür erschien, sah sie mehr nach kleinem Mädchen aus denn je.
    »Ich weiß nicht, ob ich noch Hunger habe«, murmelte sie.
     
    »Setz dich und iss.«
    Wir setzten uns an den kleinen Tisch mitten in der Küche. Leicht misstrauisch musterte Isabella ihren Teller mit Reis und mehreren Zutaten, den ich vor sie hingestellt hatte.
    »Iss«, befahl ich.
    Sie nahm probeweise einen Löffel und führte ihn zum Mund.
    »Schmeckt gut«, sagte sie.
    Ich schenkte ihr ein halbes Glas Wein ein und füllte es mit Wasser auf.
    »Mein Vater lässt mich keinen Wein trinken.« »Ich bin nicht dein Vater.«
    Wir aßen schweigend und sahen uns ab und zu an. Isabella putzte ihren Teller leer und verschlang auch das Stück Brot, das ich ihr abgeschnitten hatte. Sie lächelte schüchtern und merkte nicht, dass der Schrecken sie noch gar nicht richtig gepackt hatte. Dann begleitete ich sie zur Tür ihres Zimmers und knipste das Licht an.
    »Versuch ein wenig zu schlafen«, sagte ich. »Wenn du etwas brauchst, klopfst du an die Wand. Ich bin im Nebenzimmer.«
    Sie nickte.
    »Ich habe Sie schon neulich nachts schnarchen hören.«
    »Ich schnarche nicht.«
    »Dann waren es wohl die Leitungen. Oder irgendein Nachbar, der einen Bären hat.«
    »Noch ein Wort und du fliegst raus.« Sie lächelte und nickte.
     
    »Danke«, flüsterte sie. »Schließen Sie die Tür nicht ganz, bitte. Lassen Sie sie angelehnt.«
    »Gute Nacht«. Ich machte das Licht aus und ließ sie im Halbdunkel allein.
    Später, während ich mich in meinem Zimmer auszog, sah ich im Spiegel, dass ich eine dunkle Spur auf der Wange hatte, wie eine schwarze Träne. Ich wischte sie mit den Fingern weg – es war eingetrocknetes Blut. Erst da merkte ich, wie erschöpft ich war und wie sehr mein ganzer Körper schmerzte.
     

 10
    Noch bevor Isabella am nächsten Morgen erwachte, ging ich zum Kolonialwarenladen ihrer Eltern in der Calle Mirallers. Es wurde gerade erst hell, und der Metall-Rollladen war halb hochgezogen. Ich schlüpfte hinein und sah mich zwei jungen Burschen gegenüber, die Teedosen und andere Waren auf den Ladentisch stapelten.
    »Es ist geschlossen«, sagte der eine.
    »Sieht aber nicht so aus. Bitte holen Sie den Inhaber.«
    Während des Wartens studierte ich das Schlaraffenland der undankbaren Erbin Isabella, die in ihrer unendlichen Unschuld den Verlockungen des Kommerzes abgeschworen hatte, um sich dem Elend der Literatur zu opfern. Der Laden war ein mit Wunderdingen aus allen Ecken der Welt bestückter kleiner Basar. Marmeladen, Süßigkeiten und Tees, Kaffees, Spezereien und Konserven, Obst und luftgetrocknetes Fleisch, Schokoladen und geräucherte Wurstwaren. Ein Schlemmerparadies für gut gepolsterte Taschen. Binnen kurzem erschien in blauem Kittel Don Odón, Vater des bewussten Geschöpfs und Ladeninhaber mit Marschallsschnauzer und einer bestürzten Miene, die aussah, als wäre er einem Infarkt erschreckend nah. Ich beschloss, die Artigkeiten wegzulassen.
    »Ihre Tochter sagt mir, Sie besäßen eine doppelläufige Flinte, mit der Sie mich umzubringen geschworen hätten«, sagte ich und breitete die Arme aus. »Da bin ich.«
    »Wer sind Sie, Sie unverschämter Kerl?«
    »Ich bin der unverschämte Kerl, der ein junges Mädchen hat aufnehmen müssen, weil ihr Hosenscheißer von Vater nicht in der Lage ist, sie in Schach zu halten.«
    Der Zorn glitt aus seinem Gesicht, und er setzte ein verzagtes Lächeln auf.
    »Señor Martín? Ich habe Sie nicht erkannt … Wie geht’s der Kleinen?«
    »Die Kleine befindet sich gesund und munter bei mir und schnarcht wie ein Hirtenhund, aber mit unbefleckter Ehre und Tugend.«
    Erleichtert bekreuzigte sich der Händler zweimal hintereinander.
    »Vergelt’s Gott.«
    »Ich wünsche Ihnen, dass Sie das erleben, aber in der Zwischenzeit tun Sie mir bitte den Gefallen, sie im Laufe des heutigen Tages unbedingt bei mir abzuholen, oder ich polier Ihnen die Visage, mit oder ohne Flinte.«
    »Flinte?«, flüsterte der Händler verwirrt.
    Seine klein gewachsene Frau bespitzelte uns mit nervösem Blick durch den Vorhang, der das Hinterzimmer abtrennte. Irgendetwas sagte mir, dass es nicht zu einer Schießerei käme. Don Odón schien schnaufend in sich zusammenzusacken.
    »Wie gern würde ich das tun,

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