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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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Monaten des Schweigens wieder mit mir sprach und mir ihre Geheimnisse erzählte.
    Da sah ich in dem elenden engen Tunnel zwischen alten Häusern der Calle de las Moscas, der Fliegenstraße, auf einer Eingangsstufe zusammengekauert Isabella sitzen. Ich fragte mich, wie viel Zeit sie da schon verbracht haben mochte, und fand, das sei mir egal. Eben wollte ich das Fenster schließen und mich an den Schreibtisch zurückziehen, als ich sah, dass sie nicht mehr allein war. Vom Straßenende her näherten sich ihr langsam zwei Gestalten, vielleicht allzu langsam. Mit einem Seufzer wünschte ich, sie möchten an ihr vorbeigehen, ohne sie zu beachten. Aber das taten sie nicht. Einer von ihnen postierte sich auf der anderen Seite und blockierte so den Ausgang der Gasse. Der andere kniete sich vor das junge Mädchen und streckte den Arm nach ihr aus. Sie bewegte sich. Einen Augenblick später schlossen sich die beiden Gestalten um Isabella zusammen, und ich hörte sie aufschreien.
    Ich brauchte etwa eine Minute. Als ich unten eintraf, hielt einer der beiden Männer Isabella an den Armen fest, der andere hatte ihren Rock hochgestülpt. Ein Ausdruck der Panik verzerrte ihr Gesicht. Der Mann, der sich zwischen ihren Schenkeln grinsend einen Weg suchte, hielt ihr ein Messer an den Hals, das drei blutige Linien gezogen hatte. Ich sah mich um. Zwei Kisten Schutt und ein Stapel Pflastersteine und Baumaterialien waren an einer Hauswand aufgetürmt. Ich packte etwas, was sich als massive Eisenstange von einem halben Meter Länge entpuppte. Als Erster erblickte mich der mit dem Messer. Die Stange schwingend, tat ich einen Schritt auf ihn zu. Sein Blick sprang von der Stange zu meinen Augen, und das Grinsen gefror ihm auf den Lippen. Der andere drehte sich um und sah mich mit erhobener Stange auf sich zukommen. Ein Zeichen mit dem Kopf genügte, damit er Isabella losließ und sich eilig hinter seinem Kumpan verschanzte.
    »Los, hauen wir ab«, zischte er.
    Der andere reagierte nicht. Er starrte mich mit feurigen Augen und dem Messer in der Hand an. »Was hast du hier verloren, du Hundesohn?« Ich nahm Isabella am Arm und half ihr auf, ohne den anderen aus den Augen zu lassen. Ich suchte die Schlüssel in meiner Tasche und gab sie ihr.
    »Geh nach Hause«, sagte ich. »Tu, was ich dir sage.«
    Sie zögerte einen Augenblick, aber dann hörte ich ihre Schritte sich in Richtung Calle Flassaders entfernen. Der Typ mit dem Messer sah sie davonlaufen und grinste wütend.
    »Du Schweinehund, dich werde ich aufschlitzen.«
    Ich bezweifelte nicht, dass er imstande und willens war, seine Drohung wahr zu machen, aber etwas in seinem Blick ließ mich annehmen, dass er alles andere als ein Dummkopf war und es nur deshalb noch nicht getan hatte, weil er sich fragte, wie schwer wohl die Metallstange war, und vor allem, ob ich Kraft, Mut und Zeit hätte, ihm damit den Schädel zu spalten, bevor er seine Klinge in mich rammen konnte.
    »Versuch’s doch«, forderte ich ihn auf.
    Mehrere Sekunden lang hielt er meinem Blick stand, dann lachte er. Erleichtert seufzte sein Begleiter auf. Der Typ klappte das Messer zusammen und spuckte mir vor die Füße. Dann drehte er sich um und verschwand in der Dunkelheit, aus der er gekommen war, und sein Kollege trottete wie ein treuer Hund hinter ihm her.
    Ich fand Isabella zusammengekauert auf der Treppe im Haus mit dem Turm. Sie zitterte und hielt die Schlüssel mit beiden Händen fest. Als sie mich hereinkommen sah, schoss sie hoch.
    »Soll ich einen Arzt holen?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Bist du sicher?«
     
    »Sie hatten es noch nicht geschafft, mir etwas anzutun«, murmelte sie und schluckte ihre Tränen hinunter. »So hat es aber nicht ausgesehen.« »Sie haben mir nichts getan, einverstanden?« »Einverstanden.«
    Ich wollte sie am Arm nehmen, als wir die Treppe hinaufstiegen, doch sie entzog sich der Berührung.
    In der Wohnung begleitete ich sie zum Badezimmer und machte Licht.
    »Hast du frische Wäsche mit?«
    Sie deutete auf ihre Tasche und nickte.
    »Los, wasch dich, während ich etwas zu essen mache.«
    »Wie können Sie jetzt Hunger haben?«
    »Habe ich nun mal.«
    Sie biss sich auf die Unterlippe.
    »Ich eigentlich auch …«
    »Dann verlieren wir kein Wort mehr darüber«, sagte ich.
    Ich schloss die Badezimmertür und wartete, bis ich den Hahn hörte, ging in die Küche und setzte Wasser auf. Es war noch etwas Reis da, Speck und Gemüse, das Isabella am Vortag mitgebracht hatte, und aus alledem

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