Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels
dass Sie mit dem Wein und Champagner etwas über die Stränge geschlagen haben und sich, betäubt durch die Weihnachtslieder und den hohen Zuckergehalt des Jijona-Turrons, all das nur eingebildet haben?«, forschte Fermín.
»Was das Kapitel Kohlensäure betrifft, so trinke ich nur Limonade, und der billigste Fusel, den ich hier habe, ist eine Flasche Wasserstoffperoxid«, stellte er klar, ganz offensichtlich nicht beleidigt.
»Entschuldigen Sie die Nachfrage. Reine Formalität.«
»Ja. Aber Sie dürfen mir glauben, wenn ich Ihnen sage, dass – außer der Besucher jener Nacht war ein Geist, was ich nicht glaube, denn er blutete aus einem Ohr, und seine Hände zitterten, und überdies klaute er mir aus der Speisekammer den ganzen Würfelzucker – Martín so lebendig war wie Sie beide und ich.«
»Und er hat nicht gesagt, wozu er nach so langer Zeit herkam?«
Isaac nickte.
»Er sagte, er wolle etwas hierlassen, was er wiederholen werde, sobald er könne. Er selbst oder jemand, den er dann schicke …«
»Und was hat er dagelassen?«
»Ein verschnürtes Paket. Ich weiß nicht, was drin war.«
Ich schluckte.
»Und haben Sie es noch?«, fragte ich.
8
Das aus dem hintersten Winkel eines Schranks geklaubte Paket lag auf Isaacs Schreibtisch. Als ich mit dem Finger darüberstrich, stieg eine Staubwolke auf, deren Partikel im Licht von Isaacs Öllampe links von mir zu brennen schienen. Zu meiner Rechten packte Fermín sein Federmesser aus und reichte es mir. Alle drei schauten wir uns an.
»Lassen wir uns also überraschen«, sagte Fermín.
Ich durchschnitt mit dem Messer die Schnur und blätterte vorsichtig das Packpapier auf, bis der Inhalt sichtbar wurde. Ein Manuskript. Die Seiten waren schmutzig, voller Wachs- und Blutspuren. Die erste Seite zeigte den in diabolischer Schrift gezeichneten Titel.
Das Spiel des Engels
Von David Martín
»Das ist das Buch, das er geschrieben hat, als er im Turm eingesperrt war«, flüsterte ich. »Bebo hat es ganz offensichtlich gerettet.«
»Darunter ist noch was, Daniel …«, sagte Fermín.
Eine Pergamentecke lugte unter dem Manuskriptpacken hervor. Ich zog daran, und es erschien ein Umschlag, der mit einem scharlachroten Engel versiegelt war. Auf der Vorderseite ein einziges Wort in roter Tinte:
Daniel
Ich spürte, wie Kälte in meine Hände drang. Isaac, erstaunt und fassungslos, zog sich still zur Schwelle zurück, gefolgt von Fermín.
»Daniel«, sagte dieser sanft, »wir lassen Sie in Frieden, damit Sie in aller Ruhe und Ungestörtheit das Kuvert öffnen können.«
Ihre Schritte entfernten sich langsam, und ich konnte eben noch den Anfang ihres Gesprächs aufschnappen.
»Hören Sie, Chef, ob dieser ganzen Aufregung habe ich ganz vergessen, zu sagen, dass ich vorhin, als ich hereinkam, nicht umhinkonnte, Sie sagen zu hören, Sie hätten Lust, in Pension zu gehen und die Stelle aufzugeben.«
»So ist es. Ich habe schon viele Jahre hier verbracht. Warum?«
»Nun, sehen Sie, ich weiß, dass wir uns sozusagen eben erst kennengelernt haben, aber vielleicht wäre ich daran interessiert …«
Die Stimmen der beiden verloren sich in den Echos des labyrinthischen Friedhofs der vergessenen Bücher. Ich setzte mich in den Sessel des Aufsehers und brach das Lacksiegel. Der Umschlag enthielt ein zusammengefaltetes ockerfarbenes Blatt. Ich faltete es auseinander und begann zu lesen.
Barcelona, 31. Dezember 1940
Lieber Daniel,
ich schreibe diese Worte in der Hoffnung und Überzeugung, dass du eines Tages diesen Ort entdeckst, den Friedhof der Vergessenen Bücher, einen Ort, der mein Leben verändert hat, wie er, da bin ich überzeugt, auch deines verändern wird. Diese selbe Hoffnung lässt mich glauben, dass dir vielleicht einmal, wenn ich nicht mehr da bin, jemand von mir erzählt und von der Freundschaft, die mich mit deiner Mutter verbunden hat. Ich weiß, dass dich, falls du überhaupt einmal diese Worte liest, viele Fragen und Zweifel beschäftigen werden. Einige Antworten darauf wirst du in diesem Manuskript finden, in dem ich meine Geschichte zu gestalten versucht habe, wie ich sie in Erinnerung habe, im Wissen, dass die Tage meiner geistigen Klarheit gezählt sind und dass ich oft nur noch imstande bin, mich an das zu erinnern, was niemals geschehen ist.
Ich weiß auch, dass, wenn du diesen Brief bekommst, die Zeit allmählich die Spuren dessen getilgt hat, was geschehen ist. Ich weiß, dass du Verdächtigungen hegst und dass du, wenn du die Wahrheit
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