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Bartleby, der Schreiber

Bartleby, der Schreiber

Titel: Bartleby, der Schreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Melville
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Arbeitszeit zu verkürzen, mit einem Wort, er brauche nach zwölf Uhr nicht mehr in meine Kanzlei zu kommen, sondern nach dem Mittagessen tue er am besten daran, in seine Wohnung heimzukehren und sich bis zur Teestunde auszuruhen. Aber nein; er bestand auf seinem nachmittäglichen Eifer. Sein Gesicht nahm eine unerträgliche Glut an, als er mir mitRednergebaren – er fuchtelte am anderen Ende des Zimmers mit einem langen Lineal herum – versicherte, daß seine Dienste, wenn sie am Vormittag nützlich seien – wie unentbehrlich müßten sie dann am Nachmittag sein!
    »Mit Verlaub, Sir«, sagte Turkey bei diesem Anlaß, »ich betrachte mich als Ihre rechte Hand. Am Vormittag ordne ich meine Kolonnen nur und lasse sie aufmarschieren; am Nachmittag jedoch stelle ich mich an ihre Spitze und greife den Feind mutig an – so!«, und er vollführte einen heftigen Stoß mit dem Lineal.
    »Aber die Tintenkleckse, Turkey«, gab ich ihm vorsichtig zu verstehen.
    »Stimmt – aber, mit Verlaub, Sir, sehen Sie dieses Haar an! Ich werde alt. Ein paar Tintenkleckse an einem warmen Nachmittag, Sir, können gegen graues Haar nicht ernstlich vorgebracht werden. Das Alter ist, selbst wenn es die Seite mit Tinte bekleckst, achtbar. Mit Verlaub, Sir, wir werden beide alt.«
    Diesem Appell an mein kameradschaftliches Gefühl konnte ich kaum widerstehen. Jedenfalls sah ich, gehen würde er nicht. Ich entschloß mich also, ihn zu behalten, nahm mir jedoch vor, darauf zu achten, daß er nachmittags mit meinen weniger wichtigen Schriftstücken zu tun hatte.
    Nippers, der zweite auf meiner Liste, war ein backenbärtiger, fahler und, im ganzen, recht seeräuberhaft aussehender junger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren. Ich hielt ihn stets für das Opfer zweier böser Mächte – des Ehrgeizes und der Verdauungsstörung. Der Ehrgeizzeigte sich in einer gewissen Ungeduld gegenüber seinen Pflichten als einfacher Kopist, in eigenmächtigen Übergriffen auf rein juristische Angelegenheiten, wie etwa die Erstabfassung rechtsgültiger Dokumente. Die Verdauungsstörung schien sich kundzutun in gelegentlicher nervöser Verdrießlichkeit und grinsender Gereiztheit, durch die er bei Fehlern, die er beim Kopieren beging, hörbar mit den Zähnen knirschte, in unnötigen, eher hervorgezischten als ausgesprochnen Flüchen in der Hitze der Arbeit und vor allem in einer ständigen Unzufriedenheit mit der Höhe des Tisches, woran er arbeitete. Obgleich Nippers eine sehr erfinderische technische Begabung besaß, vermochte er es doch nie, seinen Tisch so herzurichten, daß er ihn zufriedenstellte. Er steckte Holzspäne, Klötze verschiedener Art, Pappstückchen unter die Beine, und schließlich ging er so weit, daß er eine besonders feine Abstimmung der Höhe ausprobierte, indem er als letztes gefaltetes Löschpapier darunterschob. Doch keine Erfindung erfüllte ihren Zweck. Wenn er, zur Entlastung seines Rückens, den Tischdeckel in einem scharfen Winkel bis fast an sein Kinn brachte und darauf schrieb wie jemand, der das steile Dach eines holländischen Hauses als Pult benutzt, dann erklärte er, daß dadurch der Blutkreislauf in den Armen behindert werde. Wenn er nun den Tisch bis zu seinem Rockbund niederließ und sich beim Schreiben darüberbeugte, dann bekam er starke Rückenschmerzen. Kurzum, es verhielt sich in Wahrheit so, daß Nippers nicht wußte, was er wollte. Oder wenn er etwas wollte, so wares dies, den Tisch eines Schreibers ganz und gar los zu sein. Zu den Bekundungen seines krankhaften Ehrgeizes gehörte seine Vorliebe, Besuch von gewissen, zweifelhaft aussehenden Gesellen in schäbigen Röcken zu empfangen, die er seine Klienten nannte. Tatsächlich wußte ich, daß er sich zeitweise nicht nur als Stadtbezirkspolitiker hervortat, sondern gelegentlich auch in den Justices’ Courts ein kleines Geschäft tätigte und auf den Stufen der Tombs nicht unbekannt war. Ich habe jedoch guten Grund zu der Annahme, daß eine Person, die ihn in meiner Kanzlei aufsuchte und von der er mit wichtiger Miene behauptete, daß es sich um seinen Klienten handle, lediglich ein Schuldeneintreiber und die angebliche Besitzurkunde eine Rechnung war. Aber trotz all seiner Fehler und der Ärgernisse, die er mir bereitete, war mir Nippers, genauso wie sein Landsmann Turkey, auch sehr nützlich; er schrieb eine saubere, flinke Handschrift, und wenn es ihm beliebte, ließ er es nicht an vornehmem Betragen fehlen. Hinzu kam, daß er sich stets auf vornehme Weise

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