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Susanne Barden 02 Zeig, was du kannst

Susanne Barden 02 Zeig, was du kannst

Titel: Susanne Barden 02 Zeig, was du kannst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen D. Boylston
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Seniorin
    An einem heißen Nachmittag im September herrschte Totenstille im Haus Brewster. Die Tagesschwestern, die keinen Dienst hatten, lagen im Schatten einer Markise auf dem Dach und genossen eine mehr eingebildete als tatsächliche Kühle, die der Wind vom Fluß herübertrug. In den oberen Stockwerken schliefen erhitzt und unruhig die Nachtschwestern. Sie hatten Türen und Fenster weit geöffnet, um sich auch nicht den leisesten Luftzug entgehen zu lassen. Im ersten Stock kroch das Sonnenlicht durch die halb geöffnete Jalousie in den kleinen Teeraum und legte gleißende Streifen auf das weiße Tischtuch.
    Nora, das irische Küchenmädchen, blickte seufzend auf den leeren Teekrug, legte die Schwesternhaube, an der sie nähte, auf den Tisch und stand auf. Die Ärmel ihres schwarzen Seidenkleides hingen feucht und zerknittert um ihre Arme, aber ihre winzige weiße Schürze und der gekrauste Kragen waren so steif gestärkt, daß ihnen keine Feuchtigkeit etwas anhaben konnte. Nora nahm den Krug, ging aus dem Zimmer und stieg eine Treppe neben dem Liftschacht hinunter.
    In dem verlassenen Teezimmer war es so still, daß es fast wie ein plötzlicher Sturmwind wirkte, als zwei neue Probeschwestern schüchtern eintraten. Sie hatten Federhalter und große schwarze Notizhefte bei sich, die sie behutsam auf einen Stuhl legten. Verlangend blickten sie auf einen Teller mit belegten Broten, der auf dem Tisch stand. Die größere der beiden war beinahe unnatürlich dünn. Sie hatte eine spitze Nase und blaßblaue Augen, die fahrig umherirrten. Die blaue Tracht hing ihr wie ein Sack um den schmächtigen Körper. Die andere Probeschwester war klein und rundlich. Ihr kindliches Gesicht bedeckten kleine Schweißperlen.
    »Vielleicht sollten wir es lieber nicht tun«, meinte die Dünne ängstlich, »wer weiß, ob es erlaubt ist?«
    »Ach, ein Butterbrot wird man schon nicht vermissen. Ich sterbe vor Hunger.« Die Kleine streckte die Hand nach dem Teller aus, zog sie jedoch hastig wieder zurück, als sie Schritte hinter sich hörte. Schuldbewußt wandte sie sich um. Ein schlankes Mädchen in grauer Tracht stand an der Tür und lächelte ihr belustigt zu.
    Die beiden Neulinge sahen sie ein wenig furchtsam an. Sie wurden oft von den Lernschwestern des Krankenhauses gehänselt. Aber diese hier schien nett zu sein und sie nicht auszulachen. Außerdem war sie, wie die beiden später einstimmig feststellten, das »entzückendste Geschöpf«, das sie jemals gesehen hatten. Leicht, wie schwebend stand sie da, eine Hand in ihrer Schürzentasche. Die kleine weiße Haube lag wie eine umgekehrte Teetasse auf ihren kupferroten Haaren. Die Haut war sehr zart, fast durchsichtig. »Wollen Sie nicht etwas trinken?« fragte sie liebenswürdig.
    »Aber es ist ja gar kein Tee da. Wer hat denn bloß schon wieder alles ausgetrunken?« Sie ging zur Treppe und rief: »Nora! Hilfe! Wir verdursten!«
    »Ich komme ja schon!« klang Noras Stimme vom unteren Flur herauf. »Ein alter Mann ist kein D-Zug!«
    Die Schwester lachte und ging ins Teezimmer zurück. Die beiden Probeschwestern betrachteten sie ein wenig neidisch. Die graue Tracht mit dem eng anliegenden Leibchen, dem weiten Rock und der weißen gestärkten Schürze wirkte so adrett. Noch mehr aber beneideten sie sie um die kurzen Ärmel und den Umlegekragen, der am Halse offen war, denn sie selber trugen hohe Kragen und lange Ärmel mit breiten gestreiften Stulpen.
    »Essen Sie etwas«, sagte die Schwester und deutete einladend auf den Teller.
    Als sie sah, daß die kleine dicke Probeschwester hastig drei Schnitten auf einmal ergriff, lachte sie. »Ich weiß genau, wie Ihnen zumute ist. Aber das gibt sich. Nach kurzer Zeit werden Sie nicht mehr so schrecklich hungrig sein.«
    »Dürfen wir eigentlich hier Tee trinken?« fragte die dünne Probeschwester.
    »Natürlich, er ist für alle da. Wußten Sie das nicht? Setzen Sie sich doch bitte hin. Mir wird ganz heiß beim Anblick Ihrer Kragen und Manschetten.« Sie ließ sich in einen Korbsessel fallen. »Wenn Sie nicht im Dienst sind, brauchen Sie nur vor Stabsschwestern aufzustehen.«
    Nach kurzem Zögern nahmen die beiden dicht nebeneinander am Tisch Platz. Es schmeichelte ihnen sehr, daß eine Lernschwester so freundlich mit ihnen sprach.
    »Gefällt es Ihnen hier?« fragte sie nun.
    »O ja!« antworteten die beiden wie aus einem Mund. Und die Dünne fügte überraschenderweise hinzu: »Man ist hier so - so frei, finde ich.« Die Schwester machte ein

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