BASTET (Katzendämmerung) (German Edition)
hier das Material für gleich ein Dutzend Artikel vorfinden würde. Und eine seltsame Geschichte, die ich niemals veröffentlichen sollte. Der schmale Ausstellungsraum wurde durch viele Oberlichter erhellt und beherbergte etwa 30 Ölgemälde, Aquarelle und Radierungen. Viele der Bilder waren impressionistische Landschaftsdarstellungen, die an Reynold Beal, Dwight Blaney und natürlich an Claude Monet erinnerten, und doch zeigte jedes der Exponate eine ganz eigene Handschrift.
Ich war begeistert, vor allem auch aufgrund der Vielseitigkeit der Bilder. Zart hingehauchte Küstenimpressionen hingen neben wilden kubistisch-abstrakten Werken, die eines Rockwell Kent oder einer Blanche Lazzell würdig gewesen wären. Mein Notizblock schien kaum genügend Blätter zu haben, um meine Eindrücke aufzunehmen.
Mr. DiLucca zeigte sich sichtlich erfreut über mein Interesse; als er dann auch noch den eigentlichen Grund für meinen Besuch erfuhr, tänzelte er wie eine aufgeregte Ballerina um mich herum. »Dio mio!«, rief er ständig grinsend aus. »Meine winzige Galerie kommt in den ›Examiner‹. Kaum zu glauben. Dio mio!«
Nachdem sich die erste Aufregung wieder gelegt hatte, gab mir der junge Galerist bereitwillig Auskunft auf meine Fragen. Mit Erstaunen stellte ich hierbei fest, über welch ein fundiertes Wissen DiLucca bezüglich Kunstgeschichte im Allgemeinen und Malerei und Fotografie im Besonderen verfügte. Auch wenn er selbst bislang kaum weiter als nach Los Angeles gekommen war, so wusste er doch genau darüber Bescheid, wie die Kunstszenen in Orten wie New York, Chicago, Boston aber auch Paris oder London aussahen. Ich erhielt gewissermaßen eine kostenlose Lehrstunde. In meiner Einschätzung was DiLucca und seinen Sinn für zeitgenössische Kunst betraf, sollte ich mich nicht täuschen. Nur drei Jahre nach meinen Artikeln errangen mehrere der von ihm propagierten Künstler Preise auf internationalen Ausstellungen. Der junge Mann gab schließlich seinen Beruf als Fotograf ganz auf und zog mit seinen Bildern in eine großzügig geschnittene Halle im Mission District. Zu wahrem Ruhm in der Kunstszene sollte er jedoch niemals kommen; an einem regnerischen Dezemberabend des Jahres 1931 verunglückte DiLucca tödlich mit seinem Wagen. Die Umstände des Unfalls blieben mysteriös … ähnlich wie auch ein weitaus früherer Vorfall in seinem viel zu kurzen Leben.
Bei jenem ersten Treffen wollte ich die Ausstellung gerade verlassen, als mir der schmale Durchgang zu einem weiteren Raum auffiel. Auf meine Frage erklärte mir DiLucca, dass sich dort einige ältere Fotografien befänden, die die Auswirkungen des großen Bebens dokumentieren würden.
Mein Interesse war erneut geweckt, doch diesmal mehr aus privaten Gründen. 18 Jahre zuvor hatte ich ein Buch über das Erdbeben geschrieben, und seit dieser Zeit ließ mich das Thema einfach nicht mehr los. Knapp ein Jahr nach der Katastrophe hatte ich kaum mehr als eine kurze Bestandsaufnahme abliefern können. Erst viel später sollte ich Einzelheiten erfahren, die das ganze Geschehen in einem anderen Licht erscheinen ließen. 1928 habe ich viele dieser Informationen in einem zweiten Buch verarbeitet, die Geschichte von Malcolm DiLucca aber behielt ich auch weiterhin für mich.
Der halbrunde, apsisartige Raum wirkte wie eine Höhle. Oberhalb der Fotografien waren lediglich winzige Lämpchen angebracht worden, die kaum mehr als ein anämisches Gelb verbreiteten. Die bedrückende aber auch sakrale Atmosphäre war den Bildern angemessen. Anders als in der Gemäldegalerie lauteten die Themen hier ›Zerstörung‹, ›Chaos‹, ›Flucht‹ und ›Verzweiflung‹. In ehrfürchtigem Schweigen betrachtete ich die Ruinen des Emporiums und den verkohlten Hügel des ›Russian Hill‹. Ich sah die Feuerhölle der Mission Street und Menschen, die mit all ihrer kläglichen Habe durch die aufgeworfenen und zerrissenen Straßen der Stadt nach Westen flohen. Natürlich waren mir viele der Aufnahmen vertraut, einen Teil der Katastrophe hatte ich schließlich am eigenen Leibe miterleben müssen, doch auch nach all den Jahren hatten die Bilder nichts von ihrer schmerzhaften Eindringlichkeit, von ihrer Trostlosigkeit verloren.
»Eigentlich ein Wunder, dass dabei nur etwa 700 Menschen ihr Leben gelassen haben, nicht wahr?«, raunte mir DiLucca ins Ohr.
Ich drehte mich zu ihm herum und schüttelte energisch den Kopf. »700? Niemals! Es waren ganz gewiss mehr als 1000, vielleicht sogar deutlich
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