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Baudolino

Baudolino

Titel: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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und der fleischige Mund weit geöffnet, so daß sich eine dunkle Höhlung ergab, deren Grund nicht zu sehen war (›Wie jenes Medusenhaupt, das wir in der Zisterne gesehen haben, du erinnerst dich, Kyrios Niketas‹). Friedrich trat neugierig näher und fragte, was das sei.
    »Das ist ein Dionysios-Ohr«, sagte Ardzrouni, »eine meiner Magien. In Konstantinopel gibt es noch alte Steine dieser Art, ich brauchte nur den Mund etwas tiefer auszuhöhlen. Unter uns ist ein Raum, in dem sich gewöhnlich meine kleine
    Wachmannschaft aufhält, aber solange du hier bist, gnädiger Herr, wird er leer sein. Alles, was dort unten gesagt wird, kann
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    man durch diesen Mund hier hören, als ob es direkt hinter dem Relief gesprochen würde. Du könntest hier, wenn du wolltest, meine Leute miteinander tuscheln hören.«
    »Ach, könnte ich doch hören, was meine Vettern tuscheln!«
    sagte Friedrich. »Ardzrouni, du bist ein wertvoller Mann. Wir werden auch darüber noch reden. Jetzt machen wir erst einmal unsere Pläne für morgen. Als erstes möchte ich morgen früh im Fluß schwimmen.«
    »Da kommst du leicht hin, zu Pferd oder zu Fuß«, sagte
    Ardzrouni, »du brauchst nicht einmal durch den Hof zu gehen, durch den du hereingekommen bist. Hinter der Tür zum
    Waffensaal gibt es eine schmale Treppe, die in den zweiten Hof führt. Von dort erreichst du den Weg ins Tal.«
    »Baudolino«, sagte Friedrich, »sorg dafür, daß in jenem Hof morgen früh ein paar Pferde stehen.«
    »Mein Vater«, sagte Baudolino, »ich weiß, wie sehr du es liebst, dich im schäumenden Wasser zu tummeln. Aber jetzt bist du müde von der Reise und von all den Prüfungen, denen du dich unterzogen hast. Du kennst diesen Fluß nicht, er scheint mir voller Strudel zu sein. Warum willst du dich in Gefahr bringen?«
    »Weil ich noch nicht so alt bin, wie du denkst, mein Sohn.
    Wenn es nicht schon so spät wäre, würde ich gleich jetzt hingehen, weil ich mich so verschwitzt und staubig fühle. Ein Kaiser darf nicht stinken, außer nach dem Öl der heiligen Salbung. Sorg dafür, daß Pferde dort sind.«
    »Wie es im Kohelet heißt«, warf Rabbi Solomon schüchtern ein, »du sollst nicht gegen den Strom schwimmen.«
    »Und wer hat gesagt, daß ich gegen ihn schwimmen werde?«
    rief Friedrich lachend. »Ich werde der Strömung folgen.«
    »Man sollte sich nie zu oft waschen«, sagte Ardzrouni, »es sei
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    denn unter Anleitung eines guten Arztes, doch du bist hier der Herr. Jetzt aber, solange es noch hell ist, jetzt wäre es mir eine unverdiente Ehre, dir meine Burg zeigen zu dürfen.«
    Er führte sie die Freitreppe hinunter und im unteren Stockwerk durch einen großen Saal, der für das abendliche Bankett hergerichtet und bereits von zahlreichen Kandelabern beleuchtet wurde. Danach kamen sie in einen Saal voller Schemel, der an einer Seite eine große in Stein gemeißelte umgekehrte Schnecke aufwies, eine spiralförmige Öffnung, die sich trichterartig nach innen verjüngte. »Dies ist der Saal der Wachen, von dem ich gesprochen habe«, sagte der Burgherr.
    »Wer hier spricht und dabei den Mund nahe an diese Öffnung hält, kann oben in deinem Zimmer verstanden werden.«
    »Ich würde gern einmal hören, wie das funktioniert«, sagte Friedrich. Baudolino spaßte, er könne ja in der Nacht einmal herkommen und dem schlafenden Kaiser einen Gruß
    hinaufschicken. Friedrich lachte und sagte nein, diese Nacht wolle er ungestört schlafen. »Es sei denn«, fügte er hinzu, »du mußt mich warnen, daß der Sultan von Ikonion durch den
    Kamin herunterkommt.«
    Ardzrouni führte sie durch einen weiteren Korridor in einen Saal mit hohen Gewölben, der von flackernden Lichtern erhellt und von Dämpfen erfüllt war. Er enthielt Kessel, in denen eine Flüssigkeit brodelte, allerlei gewundene Flaschen, Glasröhren und andere sonderbare Gefäße. Friedrich fragte den Burgherrn, ob er Gold erzeuge. Ardzrouni lachte und sagte, das seien Alchimistenmärchen. Aber er verstehe sich auf die Kunst, Metalle zu vergolden und Elixiere zu brauen, die zwar kein ewiges Leben verhießen, aber das allzu kurze, das uns
    beschieden sei, ein wenig verlängern könnten. Friedrich lehnte es jedoch ab, davon zu kosten. »Gott hat die Länge unseres Lebens festgesetzt, und man soll sich Seinem Willen fügen.
    Vielleicht sterbe ich morgen, vielleicht werde ich hundert Jahre
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    alt. Das liegt ganz in der Hand des Herrn.« Rabbi Solomon fand, das seien sehr weise Worte, und die beiden

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