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Baudolino

Baudolino

Titel: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Türpfosten einwirken, und die Tür öffnet sich. Einfach, nicht wahr?«
    »Einfach?« sagte Friedrich. »Verblüffend! Und solche
    Wunderdinge kannten die alten Griechen?«
    »Solche und andere, auch die ägyptischen Priester kannten sie schon. Dieses hier haben sie benutzt, um zu erreichen, daß sich die Tore eines Tempels auf einen gesprochenen Befehl hin öffneten, so daß die Gläubigen staunten und O Wunder! O
    Wunder! riefen«, sagte Ardzrouni. Dann forderte er den Kaiser auf, über die Schwelle zu treten. Sie kamen in einen Saal, in dem sich eine weitere außergewöhnliche Apparatur erhob. Eine lederne Kugel war mit zwei Halterungen, die wie rechtwinklig gebogene Griffe aussahen, auf einer Scheibe befestigt, und diese Scheibe war der Deckel eines metallenen Beckens, unter dem sich ein weiterer Holzstoß befand. Aus der Kugel ragten zwei dünne Röhren, eine nach oben und eine nach unten, die in zwei Schnäbeln endeten, von denen einer nach rechts und einer nach links zeigte. Bei genauerem Hinsehen bemerkte man, daß auch die beiden Halterungen, die die Kugel über der Scheibe hielten, Röhren waren, die sich unten ins Becken senkten und oben ins
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    Innere der Kugel eindrangen.
    »Das Becken ist voll Wasser. Jetzt erhitzen wir dieses
    Wasser«, sagte Ardzrouni und entzündete erneut ein großes Feuer. Es dauerte eine Weile, bis das Wasser kochte, dann hörte man ein leises Zischen, das immer lauter wurde, und die Kugel begann sich an ihren Halterungen um ihre waagerechte Achse zu drehen, während aus den Schnäbeln Dampfwolken pufften. Die Kugel drehte sich eine Weile, dann ließ ihre Geschwindigkeit nach und Ardzrouni beeilte sich, die Röhren mit einer Art weichem Ton zu verschließen. »Auch hier ist das Prinzip sehr einfach«, sagte er. »Das Wasser kocht im Becken und
    verwandelt sich in Dampf. Der Dampf steigt in die Kugel, und indem er aus ihr mit starkem Druck nach zwei
    entgegengesetzten Seiten entweicht, versetzt er sie in eine Drehbewegung.«
    »Und welches Wunder soll das vortäuschen?« fragte
    Baudolino.
    »Es täuscht nichts vor, es demonstriert eine große Wahrheit: Es führt uns handgreiflich vor Augen, daß es Leere gibt.«
    Man kann sich vorstellen, wie Boron reagierte. Kaum hörte er das Wort Leere, horchte er mißtrauisch auf und fragte, wieso denn um alles in der Welt dieses hydraulische Spielzeug beweisen solle, daß es Leere gebe. Ganz einfach antwortete Ardzrouni, das Wasser im Becken werde zu Dampf und fülle die Kugel, der Dampf entweiche aus der Kugel und bringe sie zum Rotieren; wenn dann die Kugel langsamer werde, was ja
    bedeute, daß kein Dampf mehr in ihr sei, würden die Tüllen verschlossen. Und wai bleibe dann folglich im Becken und in der Kugel? Nichts; also die Leere.
    »Die möchte ich gern mal sehen«, sagte Boron.
    »Um sie zu sehen, müßtest du die Kugel öffnen, und dann würde sofort Luft eindringen. Es gibt jedoch einen Ort, an dem
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    du die Präsenz der Leere bemerken könntest. Allerdings bliebe dir nur sehr wenig Zeit dafür, denn ohne Luft würdest du rasch ersticken.«
    »Und wo ist dieser Ort?«
    »Er ist ein Raum über uns. Und jetzt zeige ich dir, wie du in jenem Raum dort Leere erzeugen kannst.« Er hob die Fackel und zeigte ihnen eine weitere Maschine, die bisher im Schatten geblieben war. Sie sah komplizierter als die beiden anderen aus, da bei ihr gewissermaßen die Eingeweide bloßlagen. Man sah einen großen Zylinder aus Alabaster, in welchem der Umriß eines weiteren zylindrischen Körpers zu sehen war, der ihn zur Hälfte füllte, zur Hälfte aus ihm herausragte und oben an einem großen waagerechten Hebel befestigt war, den ein Mann mit beiden Händen betätigen konnte. Ardzrouni bewegte diesen Hebel auf und ab, und im gleichen Rhythmus sah man den
    inneren Zylinder sich zuerst heben, dann senken, bis er den äußeren Zylinder vollständig füllte. Am oberen Teil des Alabasterzylinders war ein langer Schlauch befestigt, der aus sorgfältig miteinander vernähten Tierblasen bestand. Dieser Schlauch führte zur Decke des Saals und verschwand dort. Am unteren Teil des Zylinders, an der Basis, öffnete sich ein Loch.
    »Also«, erklärte Ardzrouni, »hier haben wir kein Wasser, sondern nur Luft. Wird der innere Zylinder mit dem Hebel hinuntergedrückt, komprimiert er die Luft im äußeren Zylinder und preßt sie durch das Loch unten hinaus. Läßt der Hebel ihn wieder aufsteigen, setzt der Zylinder einen Mechanismus in Gang, der das Loch

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