Bauernjagd
setzten sich
schwerfällig in Bewegung und folgten ihm, andere schlossen sich an, und
schließlich rannte die ganze Herde dem Wagen hinterher, bis zu dem Elektrozaun,
wo sie stehen blieben und sich versammelten. Hambrock sah sie langsam kleiner
werden, bis der Wagen in eine Kurve fuhr und der Hof aus seinem Blickfeld rückte.
24
»Und wo hatte sie das Jagdgewehr her?«, fragte Heike.
Sie lehnte an seiner Fensterbank und aß einen Apfel. Hambrock konnte
kaum mehr als ihre Silhouette erkennen, dahinter leuchtete die Vormittagssonne.
»Das lag auf ihrem Dachboden herum. Offenbar ist es kurz nach dem
Krieg dort aufgetaucht, der alte Horstkemper hat es besorgt, um seine Familie
in der Nachkriegszeit zu schützen. Später ist es dann wohl in Vergessenheit geraten.«
»Deshalb wurde es nie registriert.«
»Genauso wenig wie die Schrotflinte von Clemens Röttger. Ist er
inzwischen vernommen worden?«
»Ja, und er ist geständig. Sein Gewehr stammt aus Belgien, er hat es
dort eigens für den Überfall besorgt. Doch dann hat er seinen Plan geändert und
eine einfache Pistole verwendet. Er hielt das für unauffälliger. Die Pistole
war zwar nicht echt, aber er war überzeugt, dass seine Cousine darauf
hereinfallen würde. Und so war es ja auch, es hat bestens funktioniert. Das
Schrotgewehr hat er dann zur Tarnung verwendet. Im Lodenmantel und mit
Jagdausrüstung ist er keinem verdächtig vorgekommen.«
»Aus Belgien …« Hambrock schüttelte den Kopf. »Ich möchte lieber
nicht wissen, auf wie vielen Bauernhöfen noch Gewehre herumliegen, die von
keiner Registrierung erfasst worden sind.«
»Wahrscheinlich kämen da einige zusammen. Ich meine …«
Die Bürotür flog auf, und Guido Gratczek stürmte herein. Er wedelte
aufgeregt mit einer Zeitung.
»Habt ihr heute schon die Zeitung gelesen?«, begrüßte er sie
atemlos.
Hambrock schüttelte den Kopf. Er war am Morgen ohne Frühstück und
Zeitung aus dem Haus gegangen. Die Befragungen am vergangenen Abend hatten sich
lange hingezogen, und er war erst spät ins Bett gekommen.
Guido warf ihm die Zeitung auf den Schreibtisch. Auf der Titelseite
war ein Foto vom Hof der Horstkempers abgebildet, daneben eins von Tante
Sophia. Es zeigte sie in ihrer Küche, sie trug eine Kochschürze und lächelte
scheu in die Kamera.
Hambrock ahnte schon, wer dahintersteckte. Er nahm sich nicht einmal
die Zeit, die Schlagzeile zu lesen, stattdessen suchte er nach einem Namen
unter der Bildunterschrift. Er fand eine Abkürzung: bf. Seine Befürchtung wurde
bestätigt.
»Es ist nicht nur das Foto«, sagte Guido. »Die wissen einfach alles
über den Fall. Jede Einzelheit. Sogar, dass Melchior Vesting kurzzeitig unter
Verdacht stand. Die Geschichten rund um die Flurreformen, die Sache mit der
Schrotmunition, der Polizeischutz für deine Familie, einfach alles steht da
drin. Lies selbst.«
Heike war von der Fensterbank gesprungen und blickte Hambrock über
die Schulter. Entschlossen schlug er die Zeitung auf. Er machte sich nicht die
Mühe, den gesamten Artikel zu lesen. Ihn interessierten nur die Namen der Verfasser.
Und tatsächlich. Unter dem Artikel stand es schwarz auf weiß: der Name des
bekannten Leitartiklers und daneben: Bernd Faber.
»Dieses kleine Dreckschwein«, flüsterte er.
Guido betrachtete die aufgeführten Namen.
»Wen genau meinst du jetzt?«
Hambrock erklärte den Hintergrund. Bernd Faber musste das Foto von
Sophia bei einem seiner Besuche geschossen haben, alle Einzelheiten des Falls
wusste er von Annika. Hambrock nahm sich vor, sie später anzurufen und ihr zu
sagen, wie schäbig er das Verhalten dieses Jungen fand.
»Tja«, sagte er wütend. »Damit hat er jedenfalls eine große Story.
Dürfte eine gute Eintrittskarte für ihn sein.« Er schleuderte die Zeitung auf
den Boden.
»Hast du denn Annika nicht eingeschärft, mit keinem über diese Dinge
zu reden?«, fragte Heike.
»Er war doch die ganze Zeit über dabei. Ich dachte, er wäre in sie
verknallt. So wirkte es zumindest.«
Heike hob die Zeitung auf und strich sie glatt. »Sie war ja offenbar
in ihn verliebt. Die Ärmste.«
Er stand auf und umrundete schwerfällig den Schreibtisch.
»Wo willst du denn jetzt hin?«, fragte Heike.
»Ich hole mir erst einmal einen Kaffee. Wenn ich wiederkomme, will
ich die Zeitung hier nicht mehr sehen.« Damit verließ er das Büro.
Im Laufe der Woche änderte sich das Wetter. Ein Tiefdruckgebiet
zog vom Atlantik heran, die Temperaturen fielen, eine stürmische
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