BE (German Edition)
Idee: Er wollte den Film in 3-D drehen. Distanz und Nähe, Räumlichkeit, Phantasieräume und die Auflösung von Mauern spielen in der Geschichte schließlich eine große Rolle.
Nach Weihnachten 2010 begann Bernd, das Drehbuch zu schreiben. Wieder waren wir in Los Angeles, wieder schrieb Bernd am Esstisch. Wie schon bei »Zorn« war seine Drehbuchassistentin Constanze Guttmann, die auch bei uns wohnte. Mit Galgenhumor versuchten wir, die Grauenhaftigkeit dessen, was sich in den achteinhalb Jahren von NKs Gefangenschaft abgespielt hatte zu übertünchen – dass Bernd die Geschichte vielleicht doch lieber als Musical verfilmen solle … so eine Mischung aus »My Fair Lady« und »Rocky Horror Picture Show«. Meistens blieben uns die Witze im Halse stecken. Neben den Gedanken um das Drehbuch an sich, beschäftigten Bernd zwei weitere Sorgen: Würde er es als Regisseur packen? Würde ihm nicht ein Gegenspieler fehlen? Jemand, der ihn auch herausforderte? Was, wenn er wieder ungehindert in sein Unglück rennen würde wie bei »Der große Bagarozy«?
Außerdem war da noch die Frage, die ihm zuletzt sein Freund Charles Schumann sehr eindringlich bei unserem letzten Besuch im Schumann’s gestellt hatte: »Ach Bernd, wer will denn so was überhaupt sehen?« In der Tat, wer wollte nach einer harten Arbeitswoche sehen, wie ein Mädchen achteinhalb Jahre im Keller hockt und von einem psychopatischen Muttersöhnchen gequält wird? Außerdem schwebte Bernd ein radikaler Film vor. Mit dem Wahnsinn und der Grimmigkeit von »Der Untergang«. Es war eine Rückkehr in den Bunker, nur eben dass sich hier die Katastrophe nicht auf politischer, sondern psychologisch-emotionaler Ebene abspielte. Lars von Triers »Antichrist« oder Polanskis »Wenn Katelbach kommt …« waren seine Referenzen. Es war das real gelebte Grauen, es war des Wahnsinns fette Beute. Das, was sich zwischen diesen beiden Menschen in diesem gesetzesfreien Raum des Verlieses abgespielt hatte, war ein Mexican Stand Off gewesen. Da hatten sich zwei Menschen achteinhalb Jahre lang gegenüber gestanden, jeder mit einer gezogenen Knarre auf den anderen gerichtet. So sah Bernd die Geschichte. Seiner Ansicht nach war Natascha Kampusch ihrem Peiniger absolut ebenbürtig, wenn nicht sogar stärker gewesen. Die Frage war: Wer würde zuerst abdrücken? Am Ende war es Natascha Kampusch, die überlebte. Das war, was Bernd faszinierte. Hier sah er das Drama. Das war Kino. Nur musste er das erst einmal schreiben!
Gleichzeitig erinnerte ihn das Verhältnis zwischen Täter und Opfer an Beckett. An absurdes Theater. Die Geschichte führte ihn zurück zu seinen Anfängen, zurück zu »Die Sonne schien, weil sie keine andere Wahl hatte, auf nichts Neues« – Bernds Bewerbungsfilm für die Hochschule, der nach einem Satz aus Becketts »Murphy« benannt war. Mit so einem Ansatz würde er schwer die Million Zuschauer locken, die von der Constantin Film erwartet wurde. Wie sollte das nur alles funktionieren?
Anfang Januar 2011, am Ende des ersten Arbeitstages am Drehbuch, interviewte ich Bernd. Die Idee dieses Buchs lag ja schon in der Luft. Bernd hatte mich schon mehrmals gebeten, seine Biographie zu schreiben, mir gesagt, dass ich die mal schreiben würde. Ich hatte das immer auf die lange Bank geschoben. Aber so ganz konnte ich die Journalistin in mir nicht ausblenden. Ich wusste, das war ein wichtiger Moment, den es festzuhalten galt. Das Gespräch fand nach dem Abendessen statt. Bernd war gut gelaunt. Wir haben viel gelacht.
Heute hast du deine ersten Seiten des Natascha-Kampusch-Drehbuchs geschrieben. Wie fühlt sich das an?
BE: Du fühlst dich total erleichtert. Dass du überhaupt ein paar Worte aufs Papier bringst, die vielleicht in der Endfassung auch noch drinstehen.
Kannst du anreißen, was du in den letzten Wochen für Ängste hattest?
BE: (lacht) Ich hab’ keine Ängste! (lacht wieder) Das muss man sich eher so vorstellen wie … es ist auch ein excitement. Wie, wenn du dich bereit machst, einen großen Berg zu besteigen. Das ist gleichzeitig exciting – and very frightening. (lacht) Aber das Excitement übersteigt natürlich die Angst bei weitem.
Warum möchtest du diesen Film machen?
BE: Wenn ich das so genau wüsste, wär’s ja nicht so schlimm. Also, ich muss es wieder mit dem Berg vergleichen: Man weiß ja auch nicht so genau, warum man jetzt so auf den Berg gehen muss. Macht ja nicht wirklich Sinn.
Der Berg ruft?
BE: Naja, der Berg ruft, aber man weiß
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