Begrabene Hunde schlafen nicht
Stelle an einem Krankenhaus hatte und sie als
Schwester in der Gemeinde aufgenommen wurde.
Zwischen Voss und Finse war die Nacht am schwärzesten.
Mitten auf der ödesten Strecke der Hardangervidda sah Mons
Vassenden mich mit melancholischen Hundeaugen an.
»Glaubst du, es stimmt, was geschrieben steht, daß die Liebe
alles aushält, alles glaubt, alles erhofft und alles erträgt?«
»Eigentlich glaube ich verdammt wenig von dem, was Paulus
in seinen Briefen so schrieb, aber …«
»Nein, denn es stimmt nicht! Jedenfalls nicht für die Liebe, die
ich erlebt habe.«
Ich konnte ihm nicht widersprechen. Am Himmel über uns
stachen die Sterne ihre Nadeln durch das Einwickelpapier der
Nacht, so daß der Morgen hindurchsickern konnte. Im Osten
ließ sich schon der blasse Widerschein einer schlummernden
Sonne erahnen. Der nächste Tag erwachte. Der Tag, an dem die
Schulden getilgt werden sollten.
Das Hallingdal hinunter wurden sogar Mons Vassendens Lider
schwer. Während seiner letzten Eröffnungen tauchte ich weg
und wieder auf, ohne das Gefühl, die ganz große Romanzen
verpaßt zu haben. Zufällige Barbekanntschaften an Tagen, an
denen er gewonnen hatte, ein Stallmädchen, das es gegen
Bezahlung machte, eine alte Frauenfrontlerin auf Tieftauchgang
1989.
Von Hønefoss an füllte das Abteil sich langsam wieder, mit
Pendlern mit schwarzen Aktentaschen und ausgetretenen
Schuhen.
Zwischen Åsker und Sandvika ging ich auf die Toilette, wusch
das Gesicht mit kaltem Wasser und schuf mir mit frischem Deo
eine neue Daseinsgrundlage. Gegen die Bartstoppeln war nichts
zu machen. Ich setzte darauf, daß Grorud Inkasso A/S nicht zu
den anspruchsvollsten Gläubigern gehörte. Die bisherige Reklame ließ nicht darauf schließen.
Als ich zurückkam, war Mons Vassenden eingeschlafen. Aber
sogar im Schlaf hielt er krampfhaft die braune Tasche fest, in
der er nach eigener Aussage die geschuldete Summe trug,
abzüglich der fünfzig Prozent Zinsen, die der Aufschub von
Dienstag auf Mittwoch ihm eingebracht hatte. Er erinnerte mich
an ein kleines Kind mit einem viel zu großen Teddybären.
In Lysaker/Fornebu stieg eine Handvoll unserer Mitpassagiere
aus. Das Tageslicht lag wie eine dünne Haut über dem Lysakerfjord. Hinten auf dem Drammensvei stockte schon der Morgenverkehr.
Als wir im Eisenbahntunnel bei Skoyen verschwanden, puffte
ich Vassenden hart in die Seite.
Er schreckte hoch, preßte die Tasche an die Brust, sah sich
panisch um und platzte heraus: »Nein! Tu mir nichts …«
»Beruhige dich. Ich bin es nur – Veum. Wir sind da.«
Er sah verschreckt aus dem Fenster, vor dem die U-BahnStation Nationaltheater wie eine bemannte Raumfähre vorbeizog, wieder in der Dunkelheit verschwand und bleiche Betonpfeiler uns die letzten Kilometer nach Oslo S. begleiteten.
3
In der Wartehalle des Hauptbahnhofs herrschte eine zugige
Atmosphäre. Morgeneilige Pendler hasteten vorbei, ohne mehr
als das Allernotwendigste wahrzunehmen. Gruppen von drei
und vier Zwölf- bis Dreizehnjährigen trieben rastlos umher, blaß
und mit dunklen Ringen unter den Augen, als warteten sie nur
darauf, daß die Schule anfing, damit sie endlich schlafen
konnten. Eine Traube jugendlicher Einwanderer in Lederjacken
stand herum; sie betrachteten alle, die kamen, als warteten sie
darauf, daß mit dem Morgenzug vom Kontinent bessere Zeiten
eintreffen würden, und als wären sie gekommen, um sie gebührend zu empfangen. Zwei uniformierte Wachmänner mit
Gummiknüppel und Gaspistole am Gürtel zogen vorbei, einer
Art unsichtbarem Meridian folgend, der sich mitten durch die
Menschenhäufchen zog.
Es lag eine fade Atmosphäre von Heimatlosigkeit über dem
ganzen Gebäude. Rechts an den Kiosken entlang strahlten uns
die ersten Überschriften der Boulevardzeitungen entgegen, so
inhaltsreich wie Schimpfrufe. In der Cafeteria auf der Terrasse
oben links saßen die letzten – vielleicht auch die ersten –
Morgenvögel der Stadt wie Sphinxe auf Podesten, und über die
Lautsprecheranlage predigte eine monotone Stimme Ankunft-
und Abfahrtszeiten, als wären es ausgesuchte Bibelstellen für
heimatlose Reisende: … Nachtzug aus Bergen ist eingefahren
auf Gleis 4. Der Nachtzug aus Kopenhagen, über Göteborg,
Konsjø umd die Øsfoldstädte verspätet dich um 15 Minuten. Ich
wiederhole: Der Nachtzug aus Kopenhagen, über …
Mons Vassenden führte uns mit gebeugtem Nacken durch das
Gewimmel. Er schielte ängstlich nach allen Seiten, als
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