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Begrabene Hunde schlafen nicht

Begrabene Hunde schlafen nicht

Titel: Begrabene Hunde schlafen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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die Chinesen aus Pakistan und dem Iran kommen. Eine
Filiale des Fremden, aber ohne feste Öffnungszeiten.«
Es war, als käme man in ein anderes Land. Die Gemüseverkäufer waren auf die Bürgersteige gezogen, und das Angebot
umfaßte viel mehr als nur Karotten und Kohlrabi. Es lag ein
Duft von Kumin und Curry über dem Viertel, der bei meinem
letzten Besuch noch nicht dagewesen war.
Das Verhältnis von Eingeborenen zu Zugewanderten war
ungefähr fifty-fifty, und die Zugewanderten kamen weder von
Son noch aus dem Sogndal. Viele trugen dunkle Anzüge und
weiße Hemden, als kämen sie direkt von einer Beerdigung.
Andere trugen farbenfrohe Gewänder, knöchellang und vorderlastig von östlich mystischem Zierrat.
Auf einem kleinen unbebauten Platz in der Urtegate spielten
acht Jungen Fußball, vier in jeder Mannschaft. Nur einer davon
war hellhäutig.
Hinter dem Platz, in einem Gebäude, das an eine ehemalige
Autowerkstatt erinnerte, lag die Moschee des Viertels. Dunkelhäutige Männer mit weißen oder grünen Turbanen waren auf
dem Weg zum Morgengebet. In einer heruntergekommenen
Mietskaserne auf der gegenüberliegenden Straßenseite fanden
wir die Adresse von Grorud Inkasso A/S.
Mons Vassenden sah ängstlich die verblichene Fassade hinauf.
Hinter einigen Fenstern war Licht, aber kein Firmenschild zu
sehen.
Wir betraten das Treppenhaus. Es roch süß nach exotischen
Kräutern. Irgendwo im Erdgeschoß sang jemand monoton mit
hoher Stimme in einer Sprache, die ich nicht identifizieren
konnte. Aus einer der Etagen über uns hörten wir Kindergeschrei.
Ich sah mir die Briefkästen an der Wand an. Nicht einer von
ihnen hatte ein Namensschild. »Bist du sicher, daß es diese
Nummer war?«
Mons Vassenden rang nervös nach Atem. »Jah! D-die haben
sie genannt! Hier steht es.« Er hielt mir den Zettel hin, und ich
sah, daß er recht hatte.
»Du hast es nicht vielleicht falsch mitgeschrieben?«
Schweißtröpfchen traten auf seine Stirn. »Dann müssen wir –
aber laß uns erst hochgehen und nachsehen!«
»Gut. Du zuerst.«
Sein Nacken zuckte ein wenig. »N-nein! K-kannst nicht du?«
»Doch, das gehört sich wohl so für einen Leibwächter.« Als
ich an ihm vorbeiging, sagte ich: »Tut mir leid, daß ich nicht
ganz professionell bin. Aber wie gesagt, einen Job als Leibwächter hatte ich noch nie. Und dann habe ich auch noch
vergessen, meine kugelsichere Weste anzuziehen.«
»K-k-k …« Er brachte es nicht heraus.
»Beruhige dich. Wir befinden uns noch immer im zivilisierten
Teil der Welt.«
»B-b-bist du da so sicher?« Er schielte die Treppe hinunter.
Der monotone Gesang hatte aufgehört. Das Kind über uns
weinte nicht mehr. Statt dessen hörten wir ein Telefon klingeln –
und jemanden antworten.
»Hör mal«, sagte ich. »Und – guck.«
Wir waren im ersten Stock angelangt. An die Tür rechts von
uns war eine Visitenkarte gepinnt. Auf der Karte stand: GRORUD INKASSO A/S – INHABER: SVEIN GRORUD. In
einer Ecke stand eine Telefonnummer, in der anderen eine
Postfachadresse.
Das war alles. Es war das bescheidenste Firmenschild, das mir
je begegnet war. Aber wir waren zweifellos am richtigen Ort.
»Ve-Veum.«
Ich sah ihn an.
Er hielt mir die Tasche hin. Der ganze Arm zitterte. »N-nnimm
sie! Nimm du sie!«
Ich nahm die Tasche entgegen. Der Griff war naß von
Schweiß, und sie war schwerer, als ich erwartet hatte, als hätten
Schulden ihr eigenes Gewicht.
Dann klopfte ich an, öffnete die Tür und ging hinein.
4
    Wir kamen in einen schmalen, braungestrichenen Flur. Der
Eingang wirkte im Grunde wie der einer Privatwohnung. Eine
der Türen zur Linken stand offen, und durch die Öffnung
strömte ein flaches, weißes Bürolicht. Ein Bürostuhl knarrte
schwach, und Papier raschelte.
Als wir an die Tür kamen, klingelte das Telefon.
    Die Frau hinter dem großen Schreibtisch entdeckte uns im
selben Moment, als sie den Hörer abnahm. Mit einer Handbewegung und einem flüchtigen Lächeln winkte sie uns herein,
bevor sie sich meldete. »Ja, hallo? – Grorud Inkasso, bitte
schön!«
    Sie war jung, rotblond, hatte das Haar lose im Nacken zusammengebunden und trug eine weiße Bluse und einen blauen
Rock. Ihre Nase war schmal und markant, ihre Augen blaugrau
mit vereinzelten helleren Flecken, wie ein Tag mit Schneeregen
in der Luft. Um den Hals trug sie lässig zusammengeknotet ein
Tuch in Rot und Gold.
    Sie gehörte nicht dorthin. Sie hätte irgendwo in der Nordmark
stehen sollen, in einem Roman von

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