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Beim ersten Sonnenstrahl (Teil 1) (German Edition)

Beim ersten Sonnenstrahl (Teil 1) (German Edition)

Titel: Beim ersten Sonnenstrahl (Teil 1) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inka Loreen Minden
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der in der Ecke kauerte, den Mantel um sich gelegt, die Augen aufgerissen und die Arme um die nackten Beine geschlungen. Er sah etwas älter aus als David, besaß allerdings viel mehr Muskeln, verstrubbeltes braunes Haar und ein kantiges Kinn. Unter seinem Mantel trug er einen Lendenschurz.
    Überrascht wandte David sich ab, um sich zu sammeln. Das war er, sein Retter! Nur älter als damals, kein Junge mehr.
    Das musste ein Trugbild sein! Der Mann hatte im Licht geglitzert, als wäre sein Körper mit Diamanten überzogen. Seine Augen hatten normal ausgesehen, sein Gesicht menschlich.
    David atmete tief durch und riskierte einen weiteren Blick. Der Mann war verschwunden, stattdessen starrte ihm eine hässliche Fratze entgegen.
    Vor Schreck wich David zurück und stieß einen Schrei aus. Ein Dämon!
    Er wollte gerade die Flucht ergreifen, als ihm bewusst wurde, dass er eine Steinfigur vor sich hatte. Die graphitartige Oberfläche funkelte im Sonnenlicht. David hatte sich geirrt. Hier gab es keinen Retter, kein mystisches Geschöpf, sondern nur eine Figur, die wohl niemand gestohlen hatte, weil sie zu gruselig, groß und schwer war.
    Zögerlich ging David auf die Statue zu. Nein, das war keine Statue. Es war … »Ein Gargoyle!«
    Er hockte wie ein Wachhund in der Ecke, die mächtigen Schwingen, die David für einen Mantel gehalten hatte, bedrohlich ausgebreitet. Die Fänge gefletscht, die Lider zusammengekniffen und die Krallen in den Holzboden gerammt, bot der Gargoyle einen erschreckenden Anblick. Was genau so gedacht war, um mögliche Feinde fernzuhalten, denn während diese Geschöpfe in den Steinschlaf fielen, waren sie leicht zu töten. Wenn man ihnen den Kopf abschlug, wachten sie nie mehr auf.
    Plötzlich erinnerte sich David an so mancherlei Dinge, die ihm Vater einst über diese Kreaturen beigebracht hatte. Er hatte es verdrängt, wie so vieles. Beim ersten Sonnenstrahl versteinerten diese Wesen, aber sie wurden nicht wirklich zu Stein, sondern bestanden aus einer Substanz, die Stein ähnelte. In dieser Phase regenerierten sich die Gargoyles oder heilten ihre Wunden.
    Ehrfürchtig berührte David die Figur. Sie fühlte sich noch warm an, so kurz nach der Verwandlung. Er ließ die Finger über die raue Schulter gleiten. Wenn er nicht wüsste, was für ein Wesen er betastete, würde er es wirklich für eine Steinfigur halten.
    Ob es stimmte und man ihren Herzschlag hören konnte?
    David beugte sich zu der hockenden Gestalt hinunter und drückte sein Ohr auf die harte Brust. Tatsächlich, wenn er den Atem anhielt und konzentriert lauschte, hörte er den monotonen Schlag des Herzens. Sein Blick fiel tiefer. Sogar der Lendenschurz war versteinert. Wie war das möglich, wo der Stoff kein Teil des Körpers war? Kein Wunder, dass Vater diese Wesen studiert hatte. Sie waren faszinierend und rätselhaft. Sobald David zuhause war, musste er die alten Unterlagen seines Vaters heraussuchen, um mehr über Gargoyles zu erfahren.
    David wäre am liebsten den ganzen Tag bei diesem Geschöpf geblieben, doch sein Zustand würde sich nicht ändern, bevor die Sonne untergegangen war. Dann würde David wiederkommen, um zu sehen, wie sein Retter erwachte, und um ihm all die Fragen zu stellen, die ihm seit Jahren auf der Seele brannten.

***

    Es hatte eine Weile gedauert, bis David eine Straße erreicht hatte, an der er sich orientieren konnte und zurück nach Haue fand. Er war beinahe im Stadtteil East End gelandet, wo die Armut größer war und viele Arbeiter lebten. Da war er froh, in einer viel nobleren Gegend in der Nähe des Hyde Parks zu wohnen. David liebte diese Grünanlage, in der er ger n spazi eren ging, um seinen Kopf freizubekommen, wenn er bei einem seiner Romane nicht weiter wusste.
    Im Stadthaus angekommen, rannte er beinahe in Granny, nachdem er seinen Mantel an der Garderobe abgelegt hatte und die Wendeltreppe nach oben laufen wollte. Seine Großmutter hatte ihr graues Haar hochgesteckt und trug eine dicke Brille auf der Nase. In der Hand hielt sie ein Tablett mit einer Kanne duftenden Tee und belegten Brötchen. Offensichtlich hatte sie ihm eben das Frühstück bringen wollen. Dankend nahm er ihr die Last ab und gab ihr einen Kuss auf die runzlige Backe, die nach frischem Puder roch. Granny wurde immer dünner, ihr Rücken krummer. Eigentlich sollte er ihr Essen machen, aber sie fühlte sich gebraucht und aufgehoben in ihrer Hexenküche.
    »Guten Morgen, Granny.«
    »Junge … «, wisperte sie und schüttelte

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