Tod am Laacher See
März 2012
Elena Pauly steuerte ihren Kleinwagen von ihrem Wohnort
Wassenach über die Landstraße in Richtung Laacher See. Auf dem Beifahrersitz
saß ihr Mann Armin, hinten im Kindersitz ihre fünfjährige Tochter Anna, die sie
zu einem Augenarzttermin in Mayen bringen wollten. Armin Pauly hatte sich an
diesem Vormittag in seiner Firma freigenommen, um seine Familie begleiten zu
können. Mit ernstem Gesichtsausdruck schaute er nach vorne.
»Fahr bitte nicht so schnell, Ele«, sagte er. Es war ein
regnerischer Märzmorgen, und seine Frau Elena pflegte einen flotten Fahrstil.
Der hatte ihn immer wieder beunruhigt in den vergangenen sieben Jahren, seit
sie sich kennengelernt hatten.
Sie hatte mit ihren Eltern das Feuerwehrfest in Bell besucht, dem
Ort, aus dem Elenas Mutter stammte. Beim »Hau den Lukas« hatte er mit dem
großen Hammer etwas ungeschickt ausgeholt und seine spätere Frau beinahe
erschlagen, noch bevor sie ein erstes Wort miteinander gesprochen hatten. Aber
sein mächtiger Schwinger verfehlte sie knapp, und er konnte sie bei der
Einladung zu einem Kaltgetränk doch noch davon überzeugen, dass es kein
Mordversuch gewesen war.
Sie verliebten sich sehr heftig an jenem Tag und heirateten ein
halbes Jahr später. Elena gab ihren Job als Kindergärtnerin in Norddeutschland
auf und zog zunächst mit bei ihm und seinen Eltern in Wassenach ein. Doch da
Armin Pauly einen guten Job bei einer Firma im nahen Städtchen Mendig hatte,
begannen sie bald mit dem Bau eines eigenen kleinen Holzhauses. Noch bevor Anna
zur Welt kam, zogen sie ein in ihr neues Reich und fühlten sich von Beginn an
wohl in dem Häuschen. Elena machte es großen Spaß, den Garten sowohl als kleine
Obst- und Gemüseoase als auch als Spielparadies für Anna anzulegen und zu
hegen. Nach der Pensionierung ihres Vaters und noch bevor ihre Mutter schwer
krank wurde, kehrten schließlich auch Elenas Eltern Norddeutschland den Rücken.
Sie zogen nach Bell, um in der Nähe ihrer Tochter und ihrer Enkeltochter zu
sein, und Elena war glücklich, dass die Familie wieder komplett war.
Für einen Augenblick verlor Armin Pauly seinen besorgten
Gesichtsausdruck, als er an die vergangenen sieben Jahre dachte. Sie schienen
ihm so schnell verflogen zu sein, aber sie waren die beste Zeit seines Lebens
gewesen.
»Ach Schatz, das ist doch nicht schnell«, beschwichtigte ihn Elena,
wie so oft. »Ich möchte doch nur, dass wir noch etwas Zeit haben für einen
kleinen Einkaufsbummel. Anna braucht neue Schuhe, und deine Jacke für jede
Gelegenheit sieht aus wie ein Museumsstück.«
»Papa, Mama ist eine gute Fahrerin«, kam Anna ihrer Mutter zu Hilfe.
»Natürlich ist Mama eine gute Fahrerin.« Armin Pauly drehte sich zu
seiner Tochter um. »Aber an meiner Jacke ist nichts auszusetzen.« Er zwinkerte
ihr zu.
»Papas Jacke ist alt, aber immer noch schön«, verkündete Anna
prompt.
Elena lächelte. »Na, wenn das mal nicht für den diplomatischen
Dienst reicht«, erwiderte sie. Dann wandte sie sich wieder an ihren Mann. »Im
Ernst, Armin, die Jacke ist überfällig.«
»Jetzt übertreibst du aber wirklich.« Armin Pauly wischte den
Angriff auf sein geliebtes Kleidungsstück mit einer schnellen Handbewegung
fort. »Die Jacke ist immer noch okay und hat mich immer vor jedem noch so üblen
Wetter geschützt.«
»Dann ist der Riss unter dem rechten Arm wohl Teil einer praktischen
Innenbelüftung«, konterte sie. »Und die unauswaschbaren Flecken modische
Designmerkmale der aktuellen Herrenoberbekleidung. Mein Lieber, du hattest die
Jacke schon, als wir uns kennengelernt haben. Und wenn ich mich recht erinnere,
hat sie davor schon dein Vater getragen. Seit seiner Lehre.«
Pauly musste über die Übertreibung seiner Frau lachen. Und Anna
fragte, was »Lehre« bedeutet.
Er erklärte es ihr, während sie auf der abschüssigen Straße am
Nordhang des Laacher Sees den Wald durchfuhren. Hier lenkte Elena Pauly ihren
Wagen etwas vorsichtiger. Erst als sie auf Höhe des noch still und verlassen
daliegenden Campingplatzes die wieder eben verlaufende Uferstraße erreichten,
beschleunigte sie wieder. Der Regen wurde stärker. Bisher war ihnen noch kein
einziges anderes Fahrzeug begegnet. Jetzt aber sahen sie einen großen
Transporter, der ihnen aus Richtung des Klosters entgegenkam. Als sie die
leichte Rechtskurve, an der sie ihn passieren würden, fast erreicht hatten,
sagte Anna: »Mama, da läuft Blut aus meiner Nase.«
Elena Pauly schaute nicht durch den
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