Beißen fuer Anfaenger (komplett)
Menschenseele.«
Ich nahm ihre Hand in meine und versuchte, den Gedankenansturm, der in meinen Geist drängte, zu ignorieren: meine Mutter, die mit Absinthe wegen der Band stritt, die die Markterlöse gestohlen hatte. Ihre Sorge, ich könnte hier nicht glücklich sein, die im Widerstreit lag mit ihrem Wunsch, weiter beim Gothic-Markt zu bleiben, das Ganze durchwoben von der Angst, dass er schließen könnte, sollten die Diebstähle nicht aufhören. Ihr Schmerz darüber, dass mein Vater so kurz nach der Scheidung wieder geheiratet hatte. Der plötzliche Gedanke, dass sie Davides Katzenklo nicht sauber gemacht hatte, ein hungriges Magenknurren, ein Gefühl von Einsamkeit, das meinem eigenen so sehr glich, dass ich um ein Haar ihre Hand losgelassen hätte … Ich biss die Zähne zusammen und versuchte, meinen Geist darauf zu konzentrieren, ihren eigenen zu durchstöbern, bis ich fand, was ich wissen wollte.
»Du hast sie draußen vor dem Wohnwagen verloren. Sie liegen in einem hohen Grasbüschel unter einem Bonbonpapier«, verkündete ich und gab ihre Hand mit einem erleichterten Seufzen frei. Meine Mutter war die einzige Person, die ich berühren konnte, ohne dass mir hinterher furchtbar schaurig zumute war … mit Ausnahme von Benedikt. Der Gedanke ließ mich blinzeln, als mir klar wurde, dass es die Wahrheit war. Wenn ich ihn berührte, geriet ich nicht in Panik, wie ich es bei anderen tat. Er war warm und weich, einladend, ein wenig mysteriös, dabei aber seltsam Trost spendend, wenn man bedachte, dass ich ihn eben erst kennengelernt hatte.
Und natürlich war da noch der Umstand, dass er ein Vampir war.
»Du bist wirklich ein Engel.« Meine Mutter drückte mir einen Kuss auf die Stirn, dann eilte sie zum Wohnwagen, nachdem sie kurz angehalten hatte, um einer Gruppe, die auf ihr Zelt zuhielt, zu versichern, dass sie in zehn Minuten zurück sein werde.
»Wenn ich ein Engel bin, wo sind dann meine Flügel?«, flüsterte ich. Das sagte ich immer, wenn sie mich einen Engel nannte, und zwar schon von frühesten Kindesbeinen an, als sie mich im Kreis geschwungen und mir versichert hatte, ich sei ein Engel, der dazu auserkoren war, den Himmel auf die Erde zu bringen.
Ich guckte runter auf meine Hand. Sie war nicht klein und schmal wie die meiner Mutter und auch nicht lang und grazil wie Imogens. Sie war groß, und meine Finger hatten stumpfe Kuppen. Es war die Hand einer Musikerin, hatte mir einmal jemand gesagt, allerdings hatte ich mit zwölf die Klavierstunden an den Nagel hängen müssen, weil ich es nicht mehr ertrug, Mrs Stones Piano anzufassen. Zu viele Kinder übten jede Woche daran. Ich kam danach jedes Mal zitternd und den Tränen nahe nach Hause. Bis meiner Mutter endlich dämmerte, was mit mir los war.
»Wie lange bist du schon psychometrisch begabt?«
Ich drehte mich langsam um und fragte mich dabei, ob Benedikt meine Gedanken gelesen hatte.
»Seit meinem zwölften Lebensjahr.«
Er stand auf der anderen Seite des Tisches – ein langer schwarzer Schemen, der mir die Sicht auf den dunklen, indigofarbenen Himmel versperrte. »Seit der Pubertät also.«
Ich nickte und versuchte, wegzusehen, schaffte es aber nicht. Es hing mit seinen Augen zusammen, die von einem inneren Licht illuminiert wurden, während er beobachtete, wie ich an meinen Handschuhen nestelte. Ich wollte nicht über die bizarren Dinge, zu denen ich fähig war, mit ihm sprechen, wollte nicht, dass er glaubte, ich gehörte in diese Freakshow.
Du bist kein Freak
.
»Lass das«, befahl ich und tapste mehrere Schritte nach hinten, so als könnte ich ihn durch die räumliche Distanz aus meinem Kopf verbannen.
Hast du Angst vor mir?
Seine Augen hatten die Farbe heller Eiche, vor deren warmem, honigbraunem Hintergrund kleine goldene Sprenkel funkelten, die ich sehen konnte, obwohl sein Gesicht in Schatten getaucht war. »Wieso sollte ich Angst vor dir haben? Wenn jemand Angst haben sollte, dann du. Ich kenne dein Geheimnis.«
Und ich kenne deins
, sagte er in meinem Geist und kam auf mich zu.
Ich wich noch weiter zurück, dabei straffte ich die Schultern, um groß und stark und bedrohlich zu wirken. »Deins ist schlimmer als meins, und falls du es nicht mit dem spitzen Ende eines Pflocks zu tun bekommen willst, solltest du lieber verschwinden und mich allein lassen.«
Ich will dich aber nicht allein lassen
.
»Du hast keine Ahnung, mit wem du dich hier anlegst –«, begann ich, dann schrie ich leise auf, als er mit einem Satz bei mir
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