Bekentnisse eines möblierten Herren
seiner bewußten Entwicklung nicht hielt. In seinem Tagebuch standen nur Erkenntnise, die — wenn es so etwas gäbe — den Stempel: »Amtlich durch Leid geprüft«, tragen müßten.
22. Februar: Die verwandte Seele verleitet dazu nachzugeben. Man fühlt sich sicher — da ja verwandt. Doch: je geringfügiger die Abweichung vom eigenen Ich, desto größer die Gefahr, sich selbst zu verlieren. Gefährlich, weil man glaubt, »frei« zu handeln.
Im Gegensätzlichen liegt die Ergänzung (auch nicht neu ; fast altmodisch wahr).
26. Februar: Ingrid versucht ihre Pedanterie künstlerisch zu bemänteln, indem sie malt (Beamtennaturalismus). Was dabei herauskommt, ärgert sowohl meine Pedanterie als auch mein künstlerisches Empfinden.
27. Februar: Gewohnheit ist die Grundlage des Nestgefühls. Tägliche Wiederholung der gleichen Handgriffe in immer gleicher Reihenfolge bei fester Platzordnung. Die Summe pedantischer Verrichtungen ist — Heimat.
Zierholts Haushalt: gesunde Darmtätigkeit. Alles akkurat und pünktlich.
1. März: Die Spießer sind die weißen Blutkörperchen der menschlichen Gesellschaft. Ohne ihre Fähigkeit, im trauten Heim zu gerinnen, würden wir heimatlos verbluten.
2. März: Müßte dringend wieder mal ins Bett.
Samstagnacht: Aus! Fühle relativ wenig, habe jedoch den Eindruck, daß sich nach Trennungsleere (normales psychisches Wehwehchen) Erleichterung einstellen wird.
Die Welt ist so weit, warum sie durch einen Menschen einengen.
Enge, kontaktarme Menschen klammern sich immer an die weiten.
Wir waren uns zu ähnlich. Ingrid liegt einen Viertelton neben mir. Klingt wie japanische Musik in europäischen Ohren.
Letztes Gespräch mit Ingrid: Was man alles sieht, wenn man sich eine Weile nicht gesehen hat! Der Abschied war etwas zu dramatisch. Morgenrock ist keine Garderobe für ein Wiedersehen nach acht Wochen. Oder gerade? — Raffiniert gedacht, aber nicht mit mir. — Obwohl... im Bett haben sich schon ganz andere geirrt.
Jetzt nur nicht saufen! Zentralheizung abstellen, Instinkt wachhalten! Keine Rettung in die Boheme. Bei Trennungen sind die meisten Männer Weiber.
Endlich brauchen mich ihre großen Füße nicht mehr zu stören.
Lukas schloß sein Tagebuch weg und begab sich hinunter in den Hof. Vom Kirchturm schlug es Mitternacht. »Wie im Kitschfilm«, sagte er laut zu sich selbst, zerrte eine Bücherkiste aus dem Wagen und trug sie nach oben. Die körperliche Betätigung tat ihm wohl; er strengte sich mehr an, als erforderlich gewesen wäre.
Beim zweiten Gang fiel ihm auf, daß alle Schieber rechts standen. Zierholts waren also noch aus. Nun ja, Samstag, dachte er. Gut, daß ich gleich allen Kram mitgenommen habe. Morgen noch mal zu ihr fahren... Wozu? Nur schade um die hübsche Wohnung. Die zwei Zimmer, ineinandergehend — genau das richtige für einen Junggesellen. Zu zweit war’s doch oft mühsam, ohne Tür, die man zumachen kann. Man wird sehen. Neue Verhältnisse müssen gründlich beschlafen werden. Übrigens ein sehr vielseitig verwendbarer Satz!
Beim dritten Gang trug er nur einen Sessel. Spätes achtzehntes Jahrhundert, Kindheitsreminiszenz mit gepolsterten Armlehnen. Und beim fünften Transport geschah es dann. Aus der Tiefe des behördenhaft geölten Treppenhauses girrte beschwingte Heimkehr — Zierholts nebst Tochter. Ihre perlende Laune trug sie schneller als sonst nach oben, zu schnell, um den schwer schleppenden Untermieter noch unbemerkt in seinen Stollen entkommen zu lassen.
»Ja so eine Überraschung, der Herr Dornberg! — Sie haben wohl geerbt?«
Mit Ausflüchten war da nichts zu machen,- in irgendeiner Form mußte er sich erklären. Aber in welcher? Die kleine Kommode wurde leichter. Herr Zierholt betätigte sich hilfreich am anderen Ende.
»Zu zweit geht’s besser.«
»Oh, danke! Bemühen Sie sich bitte nicht!«
»Körperliche Betätigung kann nie schaden, zumal ich noch so schön in Schwung bin.«
Frau Zierholt hob das Kinn.
»Wir kommen nämlich gerade aus dem Tanzklub, gell! Es war zwar nur ein Trainingsabend, sonst wären wir ja in Toilette.«
»Meine Frau und ich, wir haben uns schon ganz schön eingetanzt. B-Klasse! Nach drei Wochen, stellen Sie sich das vor! Und Renate ist in der Jugendriege.«
Sie ereiferten sich so, daß die Ursache der späten Begegnung zunächst in den Hintergrund trat. Herr Zierholt trug die Kommode bis ins Zimmer.
»So!«
»Vielen Dank.«
Wenn Lukas jedoch hoffte, sich nunmehr diskret absetzen zu
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