Bekentnisse eines möblierten Herren
verändert. Von rechts hatte Vater Zierholts after-shaving lotion die schwache Front seiner Zahnbürste durchbrochen und war bis zum Rasierpinsel vorgedrungen, während von links das mütterliche Eau de Cologne seine Zahnpasta bedrängte. Oder die ganze Linie war von dem mächtigen Trockenrasierer des Tyrannen bis fast an die Westfront zurückgeschlagen, die ihrerseits mit schweren Flakons gegen den Wehrlosen auffuhr. Allmorgendlich riegelte Lukas im Schutze seiner wohlverschlossenen Nacktheit die Fronteinbrüche wieder ab, gewann ein paar Zentimeter Niemandsland hinzu, um jedoch am nächsten Tag erneut vor der gleichen Situation zu stehen. Und das Frühstückstablett auf der Flurkommode! Der Platz, auf dem ihn der zweite Teeaufguß erwartete, richtete sich jeweils nach der Wichtigkeit der Zierholtschen Korrespondenz. Freitags, wenn der ausgefüllte Totozettel — von einem röhrenden Hirsch auf Marmorsockel gegen Wegflattern gesichert — die ganze Kommode beherrschte, stand es rechts daneben auf einem Stuhl. Montags, nach aufregenden Länderspielen, wenn die Kommode der Fachpresse reserviert blieb, links.
Karl-Heinz Zierholt — Ingenieur, wie dem Messingschild an der Wohnungstür zu entnehmen — war ein kleiner, drahtiger Mann mit wenig Kopf und viel Hals. Fliegenträger. Gemessen in Wohlwollen, in Tadel fast schöpferisch, führte er das akkurate Leben einer Normaluhr. Diese Eigenschaft seines obersten Zimmerherrn ermöglichte es Lukas, das Schlagwerk seines teuren Reiseweckers fürderhin zu schonen. Wenn morgens neben seinem linken Ohr der mechanische Wasserfall ausgelöst wurde, war es sieben Uhr. Das Rauschen galt als verbindlich. Somit diente das letzte Geschenk der mutig schweigenden Braut nur mehr unwesentlicher Zeitangabe.
Nach dem Weckstrahl verblieb Lukas im Bett und dachte sich langsam wach. Erst wenn Vater Zierholt mit Besitzernachdruck die Wohnungstür zuschlug, stand er auf. Seine Tätigkeit als Freischaffender erlaubte es ihm, den Zeitpunkt des Arbeitsbeginns nach Gutdünken zu variieren.
Regelmäßig, wenn er frisch rasiert den Rückweg vom Badezimmer an trat, stand die Klotür offen. In dieser Toilette nämlich, die mit ihrem langen Anmarsch eher als sanitärer Korridor anzusprechen war, befand sich neben einer uralten Haushaltsleiter ein vorhangverhülltes Regal mit Eingemachtem. Und just an diesem war Renate morgendlich mit ordnenden Händen beschäftigt, wobei sie es nicht versäumte, dem Vorbeischlurfenden einen fröhlichen Gutenmorgengruß entgegenzurufen.
Lukas haßte muntere Frühaufsteher zu sehr, um sich über solche Begegnungen Gedanken zu machen. In diesem Hause geschah schließlich alles regelmäßig.
Das Mittagessen nahm er in einem nahe seinem Atelier gelegenen Restaurant ein und kehrte erst gegen Abend in den Stollen zurück. Sein Kontakt zu Zierholts reichte über die üblichen Gruß- und Wetterschablonen nicht hinaus. Er parkte neben der Teppichstange, mied die Lustbarkeiten der Saison, empfing in diesen Wochen isolierter Bewährung keine Damenbesuche und war somit der ideale Untermieter.
Doch einmal wurde das Tiefkühlfach höflicher Beziehungslosigkeit aufgetaut. Lukas kam wie üblich nach Hause, rückte den UM-Schieber routinemäßig auf »Anwesend«, als er im 25-Watt-Grau des Korridors Frau Zierholt gewahrte. Sie hielt ein bügelbewehrtes Abendkleid gegen das trübe Licht und fühlte sich ob der Frivolität ihres Unterfangens zu einer Erklärung veranlaßt.
»Ich bin gerade dabei, mein Abendkleid...«
»Aber Frau Zierholt, kostbare Roben bedürfen von Zeit zu Zeit der Pflege. Das weiß sogar ich als Mann«, unterbrach Lukas und bedachte sie mit einem Blick, der ihrem Jahrgang sichtlich wohltat.
»Wir gehen ja sonst nie aus, wie Sie sicher schon bemerkt haben, aber jetzt hat man uns aufgefordert, dem Tanzklub >Savoy< beizutreten. Auf Empfehlung, gell. Das zieht natürlich gewisse gesellschaftliche Verpflichtungen nach sich.«
»Das freut mich für Sie. Aber Ihr Mann sollte sich mehr schonen; er sieht abgespannt aus in letzter Zeit«, ermunterte sie Lukas in täuschendem Hausfrauenlamento.
»Ach, sagen Sie das nicht! Dem tut’s auch ganz gut, wenn er mal unter Leute kommt.«
»Guten Abend«, sagte Renate, die lautlos aus einer Wohnwabe getreten war, indes ihre Mutter fortfuhr, das Medium kultivierter Geselligkeit zu inspizieren.
»Ja, Sie sind jung, Sie können das immer haben, aber unsereiner hat manchmal richtig Sehnsucht nach ein bißchen beschwingter Musik
Weitere Kostenlose Bücher