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Bekentnisse eines möblierten Herren

Bekentnisse eines möblierten Herren

Titel: Bekentnisse eines möblierten Herren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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und einem Gläschen Sekt in gepflegter Atmosphäre, gell!«
    »Ich möchte auch mit, Muttel«, bettelte Renate. Sie hatte es an diesem Nachmittag sicher schon x-mal getan und erhoffte sich von Lukas Verstärkung.
    »Ausgeschlossen, Kind. Wir können nicht gleich mit der ganzen Familie anrücken.«
    »Wo ich doch das neue Kleid habe«, jammerte das Kind. »Ja, das rosa. — Hat sie sich selbst geschneidert in der Schule. — Ein andermal, Kind, du hast ja noch das ganze Leben vor dir, gell!«
    Gegen sieben verließen Zierholts die Wohnung. Lukas trat aus seinem Zimmer und strebte unter Viel-Spaß-Floskeln bedürfnislos der Toilette zu. Ein rührendes Bild! Frau Zierholt ganz in Beige, mit unendlichen Schneiderkünsten, Rüschen und Fältchen versehen; er in einem engen Gemisch aus dunklem Anzug und Smoking. Renate glich in ihrer mißmutigen Hohlwangigkeit einer Zille-Figur. Mürrisch wünschte sie ihren Eltern viel Vergnügen.
    Später, als Lukas ins Bad wollte, sah er sie noch einmal. Mit knallrot gemaltem Mund stand sie im Unterrock vor dem Spiegel, bemüht, ihr dunkles Haar zu einer Art Hochzeitstorte aufzutürmen. Sie war so in ihr Werk versunken, daß sie ihn nicht gleich bemerkte.
    »Verzeihung!«

    Die Beziehung zu Ingrid trat in ein neues Stadium. Anfangs hatte Lukas geglaubt, es nicht länger ohne sie auszuhalten, war nachts drauf und dran, aufzustehen und zu ihr zu fahren. Er sah sie im Traum mit einem andern, gegen dessen Zudringlichkeiten er nicht nur machtlos war, sondern gegen den sich das geliebte Wesen auch in keiner Weise wehrte — im Gegenteil. Dann wieder redete er sich ein, ihrer überhaupt nicht mehr zu bedürfen, stellte serienweise unerträgliche Fehler fest und genoß männlich-heiter das Gefühl, überhaupt nichts mehr für sie zu empfinden. Bis ihm vom Südpol des Zwerchfells her neue Sehnsucht erwuchs, die sein Herz überzog und seine Eifersucht mit mephistophelischen Trugbildern foppte. Auch der Tag brachte keinen Trost. Beim Rasieren, im Auto, bei der Arbeit ertappte er sich mitunter, wie er die gerade vorherrschenden Empfindungen laut aussprach. Mit der Zeit jedoch wurden die Regungen matter, und er gewöhnte sich daran wie an den Kampf auf der Glasplatte im Zierholtschen Bad. Huberts Rat, die Essenz seiner jeweiligen Überlegungen und Gefühle niederzuschreiben, kam ihm sehr zustatten. Schon beim Nachlesen der ersten wirren Notizen erkannte er, daß dieses Pendeln zwischen extremen Empfindungen nichts anderes war als die normale Wechselstromtätigkeit, mit der die Seele auf bewußte Maßnahmen reagiert. Dann folgte eine Zeit absoluter Leere. Lukas war schlecht gelaunt, appetitlos und arm an Stoffwechsel. Erst etwa in der fünften Woche nach der Trennung gewann er seine alte Aktivität wieder. Zögernd und noch etwas ungläubig fand er zurück zu Gewohnheiten, auf die er bei Ingrid hatte verzichten müssen, und erfüllte sich Wünsche, die er seit einer Ewigkeit mit sich herumtrug.

    »Bin wieder ganz der alte«, schrieb er in weiten, heiteren Bögen in sein Tagebuch. Gewiß liebte er sie noch. Doch diese Liebe, durch die lange Zwangspause gefiltert, zeigte sich anders als zuvor. Der Wunsch, sie ständig um sich zu haben, das Glück, das Beisammensein zweistimmig zu preisen und überhaupt ganz in ihr aufzugehen, war einer zärtlich-kritischen Schau gewichen. Er wog Ingrids Eigenschaften gegen die seinen ab, kam hinter die Ursache mancher Streitigkeit und entdeckte erfreuliche Übereinstimmung, wo er sie nie vermutet hatte. Auch über die ihm vom Hörensagen bekannten Schwierigkeiten zwischen Menschen des gleichen astrologischen Zeichens dachte er nach. Wie hatte Hubert gesagt? »Gegen elterliche Ratschläge opponiert die Erbmasse?« Genauso verhielt es sich mit Menschen des gleichen Tierkreiszeichens. Die Verwandtheit des anderen mit dem eigenen Wesen, so stellte er fest, engt ein, weil sie jede Ergänzung verhindert. Anfangs freut man sich, wenn der Partner etwas äußert, was man selbst gerade sagen wollte; man sinkt sich mit dem Juchzer: »Liebling, wir sprechen die gleiche Sprache!« in die Arme und ärgert sich im Grunde, daß der andere sie schneller spricht. Zu seinem größten Erstaunen vermischten sich die um Ingrid kreisenden Gedanken mit Eindrücken aus dem Zierholtschen Haushalt zu einer derart massiven Einheit, daß er an sich selbst zu zweifeln begann. Diese Beobachtung schrieb Lukas jedoch nicht auf. Sie bildete eine scheinbar unwichtige Station, auf der der Expreßzug

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