Belial
forschte.
Etwas störte mich. Es war nicht allein der defekte Fernseher, es war etwas anderes, das mir nicht paßte. Es lag an meiner Wohnung, an meiner Umgebung, ich hatte einfach den Eindruck, nicht mehr allein im Zimmer zu sein.
Unsinn…
Und doch, das Gefühl blieb. Der Schnee rieselte weiterhin über den Bildschirm, und er verteilte sich auch auf meinem Rücken, denn dort spürte ich das kalte Gefühl.
Da war etwas…
Ich hielt den Atem an. Nichts war in der Wohnung zu hören. Außerdem saß ich steif im Sessel, wie jemand, der sich darauf vorbereitet, im nächsten Moment in die Höhe zu springen.
Allein? Nicht allein?
Hinter mir!
Plötzlich wußte ich Bescheid. Das Unbekannte befand sich in meinem Rücken, und ich brachte es auch mit dem Versagen der Glotze in Verbindung. Ich sprang nicht in die Höhe, sondern versuchte nur, mich so normal wie möglich zu verhalten. Obwohl es mich jetzt drängte, drehte ich mich langsam um. Dabei stemmte ich mich schon hoch, weil ich über die hohe Lehne hinwegschauen wollte.
Ich war nicht mehr allein.
Jetzt, wo ich mich gedreht hatte, sah ich die Gestalt vor mir stehen. Eine Person, die ich kannte, die sich nicht verändert hatte.
Es war Raniel, der Gerechte!
***
Mit allem hätte ich gerechnet, damit allerdings nicht. Ich spürte den Druck in meinen Knien, hatte Mühe, normal zu stehen und stützte mich mit einer Hand an der Sesselkante ab.
Raniel war halb Engel, halb Mensch. Einer, der sporadisch auftauchte und wachte, der auch zusammen mit einem Jungen namens Elohim seinen Weg ging.
Er sah aus wie immer.
Dunkel gekleidet, wie jemand aus der Biedermeierzeit.
Er trug einen dunklen Mantel, ein Rüschenhemd, dessen Stoff aus dem Ausschnitt der Weste quoll. Sein Haar war ebenso dunkel wie der Stoff der Kleidung. Es war aus dem Gesicht gekämmt, erinnerte an das Gefieder eines Vogels und floß weit hinein bis in den Nacken, wo es sich leicht zusammenrollte. Raniel sagte nichts, er schaute mich nur an, als wollte er mir Zeit geben, in seinem Gesicht zu forschen.
Es war ein männliches Gesicht, aber auch düster, was an den sehr dunklen Augenbrauen lag, die sich am Ende der Stirn wie zwei Balken abmalten. Eine gerade Nase, ein weicher Mund, dafür ein härteres Kinn, so daß sich in diesem Gesicht Frauliches und Männliches vereinigte.
Raniel war ein Phänomen. Ein Engel und ein Mensch zugleich. Jemand, der ein Schwert perfekt führen konnte, einer, der aufpaßte und wachte, denn er gehörte nicht zu den Engeln, die ihren Weg noch suchten und dabei nicht wußten, auf welche Seite sie sich stellen sollten. Gerade in letzter Zeit hatten wir Fälle mit dämonischen Engeln erlebt, da brauchte ich nur an Josephiel zu denken.
Damit hatte Raniel nichts gemein. Er war auch kein Engel, der das Feuer brachte, er war einfach der Gerechte, und er versuchte auf seine Art und Weise, der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen, was mit unseren Gesetzen nicht immer übereinstimmte.
Es war komisch, aber ich fühlte mich besser, als ich ihn anschaute. Das ging urplötzlich, und ich konnte wieder tief durchatmen. Auch der Schauer auf meinem Rücken war verschwunden, selbst das weiche Gefühl in den Knien spürte ich nicht mehr.
Ich brauchte Raniel nicht zu fragen, wie er in meine Wohnung gelangt war. Einer wie er schaffte es eben, und wahrscheinlich hatte seine Energie für diese Störung meines Fernsehers gesorgt.
Ich suchte nach Worten, um Raniel würdig zu begrüßen, er aber schnitt mir schon im Ansatz mit einer Handbewegung das Wort ab. »Ich möchte, daß du mir zuhörst, John Sinclair.«
»Okay, nichts dagegen. Aber ich würde vorschlagen, daß wir uns setzen. Da redet es sich besser.«
Er überlegte einen Moment, dann stimmte er zu. In verschiedenen Sesseln nahmen wir Platz. Ich schenkte Wasser nach, bot Raniel ebenfalls etwas an, aber er wollte nicht. Er saß einfach nur da, schaute mich an, wobei sein Blick trotzdem in die Ferne gerichtet sah, wie jemand, der durch einen anderen hindurchsieht. Sicherlich sah und beschäftigte er sich mit Vorgängen, die mir verborgen blieben.
Dann bewegten sich die dunklen Augen. Er zog die Brauen zusammen und hob die rechte Hand wie jemand, der um Aufmerksamkeit bittet. Das brauchte er bei mir nicht, denn aufmerksam war ich von selbst – und gespannt.
»Du kannst dir nicht denken, weshalb ich bei dir erschienen bin?« fragte er.
»Nein, das kann ich nicht.«
»Du hast auch nichts gespürt?«
»Was sollte ich gespürt
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