Belial
einmal versucht, es aber nicht geschafft.«
»Und jetzt?«
»Wird er einen zweiten Versuch starten.«
»Wo?«
Raniel hob die Schultern. »Das kann ich nicht sagen. Die Welt ist riesengroß, wobei ich allerdings glaube, daß er sich dort zeigt, wo es auch Sinn hat und er seine Feinde besiegen kann. Ich gehöre ebenso dazu wie du, John.«
Rasch trank ich einen Schluck Wasser. »Ich kann mir denken, weshalb ich zu seinen Feinden gehöre, ganz allgemein gesehen, aber warum denn in diesem speziellen Fall.«
Raniel deutete mit dem linken ausgestreckten Zeigefinger auf meine Brust. »Du trägst das Kreuz.«
»Und…«
»Denk an die Buchstaben.«
»Die Insignien der vier Erzengel.«
»Ja. Denn sie sind seine Todfeinde. Belial haßt sie. Er hat sie schon seit Urzeiten gehaßt. Während sie die Wahrheit verkündeten, hat er gelogen, immer noch gelogen. Er ist der Engel der Falschheit, der Lügen, und er will sich dank seiner Kraft die Erde auf diese Art und Weise Untertan machen. Die Menschen lügen schon genug, aber Belial möchte, daß sich dies noch verstärkt. Keiner mehr soll sich noch auf den anderen verlassen können. Wenn jeder jeden anlügt, wird es zu einem gewaltigen Chaos kommen, die Menschen werden sich gegenseitig die Köpfe einschlagen. Da vertraut der Mann seiner Frau nicht mehr, die Kinder nicht ihren Eltern und so weiter – falls es dazu kommt und falls wir den Engel der Lügen nicht vorher stoppen können.«
Die Worte waren mir unter die Haut gegangen. Ich kannte Raniel gut genug, um zu wissen, daß er bestimmt nicht log.
Er war das Gegenteil, er war der Gerechte, und er saß besorgt vor mir.
Daß er mich besucht hatte, sah ich auch als Beweis dafür an, daß er allein nicht zurechtkam. Er brauchte Menschen, die ihm halfen und sich nicht scheuten, gegen den Engel der Lügen anzugehen.
So konnte ich mich wieder auf einen neuen Feind gefaßt machen.
»Und du bist sicher, daß er kommt?«
»Falls er nicht schon hier ist.«
»Wie können wir das feststellen?«
»Es wird nicht heimlich oder hinterrücks ablaufen. Wenn Belial diese Erde betritt, wenn er seine Sphären verläßt, wird er immer von etwas Ungewöhnlichem begleitet, das weiß ich, so gut kenne ich ihn auch. Es gehört eben zu seinen Lügen, daß im Sommer hier Schnee fällt oder die Wüsten überschwemmt sind.«
»Hört sich schaurig an.«
»Es ist auch schlimm.«
»Und wie kann ich ihn stoppen?«
Raniel hob die Schultern.
»Es wird nicht einfach sein. Möglicherweise stehst du vor deiner schwersten Aufgabe überhaupt. Ich weiß nicht, inwiefern dir dein Kreuz dabei helfen kann, aber es gibt einen Weg, und den will ich dir aufzeigen. Man muß Belial der Lüge überführen. Er ist der Engel der Lügen, glaubt aber, die Wahrheit für sich allein gepachtet zu haben. Was wir als Lüge ansehen, ist bei ihm die Wahrheit. Seine Welt ist auf den Kopf gestellt, das wird die einzige Chance sein, die wir haben. Aber es wird bestimmt nicht einfach sein.«
»Ja, das glaube ich auch. Die Aussichten scheinen nicht eben himmlisch zu sein.«
Raniel konnte über diesen Vergleich nicht mal lächeln. Wir waren bei unserem Gespräch warm geworden, was nicht allein an der Wärme im Zimmer lag, denn ich dachte an die Zukunft und kam mir doch ziemlich klein vor, obwohl ich als Sohn des Lichts bezeichnet wurde. Da türmten sich schon jetzt die Probleme zu einem gewaltigen Berg vor mir hoch.
»Du kannst mich fragen, John.«
»Sehr gern. Wie kann ich feststellen, daß sich Belial schon auf der Erde befindet?«
»Du mußt die Augen offenhalten. Es wird ein Ereignis geben, das außergewöhnlich ist. Man wird darüber berichten, und dann kannst du handeln.«
»Schnee im Sommer, Überschwemmung in der Wüste…«
»So ähnlich, John.«
»Noch einmal«, sagte ich. »Belial weiß, daß er hier auf der Erde nicht nur Freunde hat.«
»Darüber ist er informiert.«
»Wunderbar. Dann wird er seine Feinde kennen. Unter anderem dich, aber auch Suko und mich.«
»Euch besonders, John.«
»Warum gerade uns?«
»Du hast es mir selbst gesagt. Denk an die Warnung, die er euch in dieser Zelle übermittelt hat. War sie nicht deutlich genug? Hattet ihr euch nicht seinen Namen merken sollen?«
»Das stimmt.«
»Dann wird er euch zu finden wissen, das glaube ich fest. Er kennt den Weg, er ist der Lügner, er ist raffiniert.«
»Gut, und wie sieht er aus?«
»Ein Engel…«
»Wie du?«
»Nein, er ist…« Raniel überlegte einen Moment. »Ich komme damit
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