0009 - Ich jagte den Mississippi-Piraten
Ahoi, alter Mississippi! Ich sah ihn zum ersten Male in Cairo, und, by Jove, er bot einen beeindruckenden Anblick, selbst wenn man den Hudson und den Amazonas kennt.
Wir Amerikaner sind stolz auf unseren Fluß, und unsere Lehrer in der Schule rechnen ihm jeden kleinen Bach im Quellgebiet zu, damit er auch ja der längste Fluß bleibt, trotz Nil und Wolga. Überhaupt wenn Sie etwas Ähnliches wie unseren Mississippi, den »Man-River«, sehen wollen, so müssen Sie schon in Rußland suchen. Sie haben dort ein paar Bäche, Ob und Jennissei, oder wie die Dinger heißen, die unserem Strom das Wasser reichen können.
Phil und ich erreichten sein Ufer in Cairo. Wir waren in der Nacht von New York herübergeflogen, und wir sahen ihn am frühen Morgen. Wissen Sie, man kann das gegenüberliegende Ufer eben noch erahnen, um zu erkennen, daß es sich um einen Fluß und nicht um einen See oder gar ein Meer handelt. Sein Wasser schwankt, je nach der Jahreszeit und dem Ort, zwischen einem schmutzigen Grün und einem schlammigen Gelb. Natürlich fließt es, und es hat im allgemeinen einen beachtlichen Zahn drauf, nur ist der Fluß so breit, daß die Strömungsverhältnisse überall unterschiedlich sind.
Zart haben wir Amerikaner unseren Lieblingsfluß nicht behandelt, das muß ich zugeben. Die Abwässer Dutzender Städte, Tausender von Fabriken ergießen sich in ihn. Er schluckt es und rächt sich damit, daß er im Sommer stinkt. Manchmal rächt er sich auf andere Art. Dann schiebt er eine Hochwasserwelle nach der anderen vor sich her, und zwischen Cairo und New Orleans wird er breit wie ein Meer, aus dem Dächer von Häusern und Schornsteine von Fabriken herausschauen wie die Reste versunkener Städte.
Daß Phil und ich so besonders interessiert in das Wasser des Flusses starrten, werden Sie sofort verstehen, wenn ich Ihnen sage, daß wir uns in Cairo befanden, um nach einem Mann zu suchen, dessen Namen wir zwar nicht wußten, der dafür aber die schmeichelhafte Bezeichnung »der Mississippi-Pirat« trug. Begreiflich, daß uns das Wasser interessierte, auf dem besagter Herr sein Unwesen treiben sollte.
Nun war das Flußpiratenunwesen meines Wissens zum letzten Male vor rund zwanzig Jahren aktuell, und zwar damals in China auf dem »Gelben«, blauen oder grünen Fluß, wie die Chinks ihre alle gleich schlammtrüben Gewässer bezeichnen. Ich glaube, man benutzte seinerzeit die Methode, Passagiere von den Booten zu kapern, schnitt ihnen ein Ohr ab und übersandte das Ohr den Angehörigen, wobei man zart andeutete, daß man den werten Kopf hinterher schicken würde, falls nicht ein Lösegeld in Höhe von… usw.
Gut, so etwas ging in China, aber der Mississippi, so urwelthaft breit er auch sein mag, fließt schließlich quer durch die Vereinigten Staaten von Amerika, die, über den Daumen gerechnet, nicht weniger als achtundsiebzigtausend Polizisten beschäftigen. Die Methode des Ohrabschneidens scheint mir in diesem Lande nicht durchführbar, obwohl es manchmal nicht die schlechteste Idee ist, auf Dinge zurückzukommen, die seit Jahrzehnten vergessen sind. Man kann das alljährlich in der Mode feststellen.
Der besagte Mississippi-Pirat schnitt keine Ohren ab. Wenigstens war uns davon bisher nichts bekannt geworden. Offengestanden, selbst hier am Ufer des Flusses stehend, wußten Phil und ich noch nicht, was der Herr auf dem Kerbholz haben sollte. Unsere Order lautete lediglich, uns in Memphis bei Forester B. Thamp, dem örtlichen FBI-Chef zu melden.
Schön, aber wir gehörten zum FBI New York. Was gingen uns die Sorgen der Mississippi-Leute an?
Es tut mir leid, aber jetzt muß ich Ihnen einen kleinen politischen Vortrag halten, auch auf die Gefahr hin, Sie vorübergehend zu langweilen.
Bekanntlich gab es früher in den Südstaaten die Sklaverei. Dann gab es einen Krieg zwischen Süd und Nord, den der Süden verlor, und die Sklaverei wurde abgeschafft. Klar, daß nach der Niederlage das Pendel nach der anderen Seite ausschlug. Die Nordstaatler und die befreiten Neger traten vorübergehend etwas heftig auf den besiegten Weißen der Südstaaten herum. Auch das bog sich mit der Zeit wieder gerade, aber doch nicht so gerade, daß man die Stimmung zwischen Weiß und Schwarz im Süden als ausgeglichen bezeichnen könnte. Sie lesen ja manchmal darüber in den Zeitungen, wenn es wieder einen Skandal wegen irgendeiner Negergeschichte gegeben hat.
Nun befiehlt zwar unsere Verfassung die völlige Gleichberechtigung der Farbigen, aber
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