Belladonna
deswegen würde ich vermuten, dass der Mörder von oben zugestoßen hat. Siehst du, dass die Wunde einen Winkel von ungefähr fünfundvierzig Grad hat?» Sehr aufmerksam betrachtete sie den Einstich und versuchte zu verstehen, was geschehen war. «Ich würde fast sagen, dass der Stich in den Unterleib anders ist als der, der die Brustwunde verursacht hat. Aber das ergibt keinen Sinn.»
«Warum?»
«Die Einstiche sind verschieden.» «Und wie das?»
«Kann ich nicht sagen», antwortete sie wahrheitsgemäß. Sie ließ dies Thema für den Augenblick fallen und konzentrierte sich stattdessen auf die Stichwunde im Mittelpunkt des Kreuzes. «Also, er steht wahrscheinlich vor ihr, in den Knien eingeknickt, und er führt das Messer seitlich nach hinten» - sie demonstrierte das, indem sie die Hand zurückzog -, «bevor er es ihr in die Brust rammt.»
«Er benutzt für die Tat zwei Messer?»
«Kann ich noch nicht sagen», räumte Sara ein und wandte sich wieder der Bauchwunde zu. Irgendwas stimmte nicht.
Jeffrey kratzte sich am Kinn und betrachtete die Brustwunde. Er fragte: «Warum kein direkter Stich ins Herz?»
«Nun, zum einen liegt das Herz nicht in der Mitte des Brustkorbs, wohin der Stich geführt werden musste, um den Mittelpunkt des Kreuzes zu treffen. Seine Entscheidung hat also auch eine ästhetische Komponente. Zum anderen ist das Herz von Rippen und Knorpeln umgeben. Er hätte wiederholt zustechen müssen, um da durchzukommen. Und damit hätte er die klare Kontur des Kreuzes verdorben, oder?» Sara pausierte. «Bei einer Verletzung des Herzens wäre eine große Menge Blut ausgetreten, und es wäre zudem mit beträchtlicher Geschwindigkeit hervorgesprudelt. Vielleicht hat er das vermeiden wollen.» Sie zuckte die Achseln, sah zu Jeffrey auf. «Ich denke, er hätte das Messer auch unter den Brustkorb und dann aufwärts führen können, wenn er das Herz hätte treffen wollen, aber das wäre ein Vabanquespiel gewesen.»
«Willst du damit sagen, dass der Angreifer über gewisse medizinische Kenntnisse verfügt haben muss?»
Sara fragte: «Weißt du, wo das Herz ist?»
Er legte eine Hand auf die linke Brustseite.
«Richtig. Und du weißt auch, dass sich deine Rippen nicht ganz in der Mitte treffen.»
Er tippte mit den Fingern auf seine Brustmitte. «Was ist das hier?»
«Das Sternum», antwortete sie. «Der Einstich sitzt jedoch tiefer. Und zwar im Schwertfortsatz. Ich kann nicht sagen, ob das reines Glück war oder beabsichtigt.»
«Und das heißt?»
«Das heißt, wenn du auf Teufel komm raus einer Person ein Kreuz in den Bauch schlitzen und dann ein Messer in die Mitte stoßen willst, dann wäre dies die beste Stelle, wenn du möchtest, dass das Messer auch tief eindringt. Das Sternum hat drei Teile», sagte sie und deutete auf ihre Brust, um es zu verdeutlichen. «Das Manubrium, der obere Teil, der Knochenkörper, der Hauptteil, und dann der Schwertfortsatz. Von den drei Teilen ist der Schwertfortsatz der weichste. Besonders bei jemandem in diesem Alter. Sie ist wie alt, Anfang dreißig?»
«Dreiunddreißig.»
«So alt wie Tessa», flüsterte Sara, und eine Sekunde lang sah sie ihre Schwester vor sich. Doch dann löste sie sich von dem Gedanken an ihre Schwester und konzentrierte sich wieder auf den Leichnam. «Der Schwertfortsatz verkalkt mit zunehmendem Alter. Der Knorpel wird härter. Wenn ich also jemandem in die Brust stechen wollte, würde ich dort mein X machen.»
«Vielleicht wollte er nicht in ihre Brüste stechen?»
Sara überlegte. «Das hier scheint mir persönlicher zu sein.» Sie suchte nach den richtigen Worten. «Ich weiß nicht, ich würde eher denken, dass er ihre Brüste verletzen wollte. Verstehst du, was ich meine?»
«Besonders wenn es sexuelle Motive gibt», meinte Jeffrey. «Ich meine, bei Vergewaltigungen geht es doch normalerweise um Macht, oder nicht? Es hat damit zu tun, dass jemand einen Zorn auf Frauen hat, dass er sie kontrollieren will. Warum sollte er sie also dort aufschlitzen und nicht an der Stelle, die sie zur Frau macht?»
«Bei einer Vergewaltigung geht es auch um Penetration», entgegnete Sara. «Und das trifft hier zweifellos zu. Ein wuchtiger Einstich, der fast ungehindert in den Körper dringt. Ich glaube nicht -» Sie hielt inne, starrte auf die Wunde. Ihr kam ein neuer Gedanke. «Guter Gott», flüsterte sie.
«Was ist denn?», fragte Jeffrey.
Ein paar Sekunden lang bekam sie keinen Ton heraus. Sie hatte das Gefühl, als schnürte sich ihre Kehle
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