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Belladonna

Belladonna

Titel: Belladonna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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fühlt sich so warm an.»
    «Ich weiß.»
    Lena senkte die Stimme. «Ich war in Macon, Sibby», sagte sie zu ihrer Schwester und strich ihr das Haar zurück. Jeffrey war froh, dass Sara sich die Mühe gemacht hatte, wenigstens einen Teil des Blutes auszukämmen.
    Im Leichenschauhaus herrschte Stille. Es war unheimlich, Lena neben der toten Frau stehen zu sehen. Sibyl war ihre eineiige Zwillingsschwester, glich ihr aufs Haar. Sie waren beide zierliche Frauen, kaum eins sechzig groß und knapp sechzig Kilo schwer. Ihre Haut hatte denselben olivenfarbigen Teint. Lenas dunkelbraunes Haar war länger als das ihrer Schwester, Sibyls lockiger. Der Gesichtsausdruck der Schwestern hätte gegensätzlicher nicht sein können: Die eine wirkte unbeteiligt und emotionslos, die andere von tiefer Trauer zerrissen.
    Sara wandte sich ein wenig zur Seite und zog die Handschuhe aus. «Lasst uns nach oben gehen, okay?», schlug sie vor.
    «Sie waren doch dabei», sagte Lena mit leiser Stimme. «Was haben Sie getan, um ihr zu helfen?»
    Sara blickte auf ihre Hände. «Ich hab getan, was ich tun konnte.»
    Lena streichelte die Wange ihrer Schwester, und sie klang etwas gereizter, als sie fragte: «Und was genau war es, das Sie tun konnten?»
    Jeffrey wollte dazwischentreten, aber Sara warf ihm einen strengen Blick zu, um ihn daran zu hindern. Seine Chance, die Situation zu retten, war vor zehn Minuten gewesen und inzwischen wieder vorbei.
    «Es ging sehr schnell», sagte Sara zu Lena. Widerstrebend, wie nicht zu übersehen war. «Sie bekam bereits Krämpfe.»
    Lena legte Sibyls Hand zurück auf den Tisch. Sie zog das Tuch hoch bis unter das Kinn ihrer Schwester und sagte dabei: «Sie sind doch nur Kinderärztin, oder nicht? Was genau haben Sie gemacht, um meiner Schwester zu helfen?» Sie gab Sara keine Möglichkeit, ihrem Blick auszuweichen. «Warum haben Sie keinen richtigen Arzt gerufen?»
    Sara lachte kurz auf, ungläubig. Sie atmete tief ein, bevor sie antwortete: «Lena, ich glaube, Sie sollten sich lieber jetzt von Jeffrey nach Hause fahren lassen.»
    «Ich will aber nicht nach Hause fahren», entgegnete Lena gefasst, beinahe schon in ganz normalem Plauderton. «Haben Sie einen Krankenwagen gerufen? Haben Sie Ihren Freund hier gerufen?» Mit einem Neigen des Kopfes wies sie auf Jeffrey.
    Sara verschränkte die Hände hinter dem Rücken. Sie schien sich mit aller Kraft zusammenzureißen. «Wir werden uns jetzt nicht darüber unterhalten. Dazu sind Sie viel zu erregt.»
    «Ich bin zu erregt», wiederholte Lena und ballte die Fäuste. «Sie meinen, ich bin erregt?», sagte sie, diesmal mit lauterer Stimme. «Sie meinen, ich bin zu verdammt erregt, um mit Ihnen darüber zu sprechen, warum Sie verdammt nochmal meiner Schwester nicht geholfen haben?»
    So schnell, wie sie auf dem Parkplatz losgerannt war, stürzte Lena sich jetzt auf Sara.
    «Sie sind Ärztin!», schrie Lena. «Wie konnte sie sterben, obwohl doch eine verdammte Ärztin daneben stand?»
    Sara antwortete nicht, sondern blickte zur Seite. «Sie können mir ja nicht einmal in die Augen schauen», sagte Lena. «Oder?»
    Sara änderte ihre Blickrichtung nicht.
    «Sie haben meine Schwester sterben lassen, und Sie können mich verdammt nochmal nicht einmal ansehen.»
    «Lena», sagte Jeffrey, der jetzt endlich eingriff. Er legte ihr die Hand auf den Arm, wollte sie zurückhalten.
    «Lassen Sie mich los», schrie sie und trommelte mit den Fäusten auf ihn ein. Sie wollte seine Brust bearbeiten, aber er packte ihre Hände und hielt sie ganz fest. Sie ging weiter auf ihn los, kreischte, spuckte und trat um sich. Es kam ihm vor, als hielte er ein nicht isoliertes Stromkabel fest. Er ließ sie jedoch nicht los, ertrug die Beschimpfungen, ließ sie alles rauslassen, bis sie zusammenbrach und zusammengekauert vor ihm auf dem Boden lag. Jeffrey hockte sich neben sie und hielt sie in den Armen. Sie schluchzte hemmungslos. Als ihm einfiel, nach Sara zu schauen, war diese nirgends mehr zu entdecken.
    Jeffrey zog mit einer Hand ein Taschentuch aus seiner Schreibtischschublade und hielt mit der anderen den Telefonhörer ans Ohr. Mit dem Tuch tupfte er das Blut von den Lippen, als die metallische Version von Saras Stimme ihn aufforderte, auf den Piepton zu warten.
    «He», sagte er und nahm das Tuch vom Mund. «Bist du da?» Er wartete einige Sekunden. «Ich wollte mich nur vergewissern, dass es dir gut geht, Sara.» Weitere Sekunden vergingen. «Wenn du nicht abnimmst, komme ich bei dir

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