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Belladonna

Belladonna

Titel: Belladonna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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gejuckt, diesem Mann das Herz aus der Brust zu reißen. Wie Julia Matthews einfach so daliegen konnte, wollte ihr nicht in den Kopf.
    Lena zählte bis zwanzig, weil sie sich zwingen wollte, der Frau noch Zeit zu geben. Sie hatte bei der Vernehmung von Ryan Gordon ebenfalls gezählt. Das war ein alter Trick von ihr, so konnte sie den Anschein erwecken, geduldig zu sein. Als sie bei fünfzig angelangt war, fragte Lena: «Ryan war dort?»
    Julia nickte.
    «In der Bibliothek?»
    Wieder nickte sie.
    Lena griff hinüber und legte noch einmal die Hand auf Julias Arm. Sie hätte auch deren Hand gehalten, wenn diese nicht fest von Verbänden umwickelt gewesen wäre. Mit fester Stimme und nur leicht drängend sagte sie: «Sie haben Ryan in der Bibliothek getroffen. Was geschah dann?»
    Julia reagierte auf das Drängen. «Wir redeten ein bisschen, und dann musste ich ins Wohnheim zurück.» «Waren Sie wütend auf ihn?»
    Julia suchte Lenas Blick. Eine unausgesprochene Botschaft wurde zwischen ihnen ausgetauscht. Lena erkannte in diesem Augenblick, dass Ryan eine gewisse Kontrolle über Julia ausübte, dass sie sich jedoch davon befreien wollte. Lena wusste auch, dass Ryan Gordon zwar ein großes Ekelpaket war, aber doch nicht der Mann, seiner Freundin etwas Derartiges anzutun.
    Lena fragte: «Gab es Streit?»
    «Irgendwie haben wir uns aber versöhnt.»
    «Irgendwie, aber doch nicht wirklich?», versuchte Lena klarzustellen. Sie ahnte, was an dem Abend in der Bibliothek geschehen war. Sie konnte sich sehr gut vorstellen, dass Ryan Gordon versucht hatte, Julia dazu zu drängen, sich zu ihm zu bekennen. Und sie konnte auch erkennen, dass Julia endgültig die Augen dafür geöffnet worden waren, was für ein Mensch ihr ehemaliger Freund war. Aber jemand, der weitaus schlimmer war, als Ryan Gordon je zu sein hoffen konnte, hatte auf sie gewartet.
    Lena fragte: «Sie haben also die Bibliothek verlassen, und was war dann?»
    «Da war ein Mann», sagte sie. «Auf dem Weg zum Wohnheim.»
    «Welchen Weg sind Sie gegangen?»
    «Hinten um das Landwirtschaftsgebäude herum.»
    «Am See?»
    Sie schüttete den Kopf. «Auf der anderen Seite.»
    Lena wartete darauf, dass sie weitersprach.
    «Ich bin mit ihm zusammengestoßen, und er hat seine Bücher fallen lassen und ich meine.» Ihre Stimme verlor sich, aber ihre Atemgeräusche wurden sehr laut. Sie begann fast zu keuchen.
    «Haben Sie sein Gesicht gesehen?»
    «Ich kann mich nicht erinnern. Er hat mich gestochen.»
    Lena runzelte die Stirn. «Gestochen mit einer Spritze?»
    «Ich hab es nur gespürt. Gesehen hab ich es nicht.»
    «Wo haben Sie es gespürt?»
    Sie legte eine Hand auf ihre linke Hüfte.
    «Er war hinter Ihnen, als Sie den Einstich spürten?», fragte Lena und dachte, dass der Täter somit Linkshänder war wie der, der Sibyl überfallen hatte.
    «Ja.»
    «Und danach hat er Sie verschleppt?», fragte Lena. «Er hat Sie angerempelt, dann spürten Sie den Einstich, und danach hat er Sie irgendwohin verschleppt?»
    «Ja.»
    «In seinem Auto?»
    «Ich kann mich nicht erinnern», sagte sie. «Als Nächstes fand ich mich in einem Keller wieder.» Sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und weinte jetzt hemmungslos. Ihr ganzer Körper wurde vom Kummer gebeutelt.
    «Ist ja gut», sagte Lena und legte ihre Hand auf die der anderen Frau. «Möchten Sie, dass wir aufhören? Das dürfen Sie bestimmen.»
    Wieder war nichts zu hören als Julias Atmen. Als sie sprach, flüsterte sie mit heiserer Stimme so leise, dass sie kaum zu verstehen war: «Er hat mich vergewaltigt.»
    Lena spürte einen Kloß im Hals. Sie wusste das natürlich schon, aber die Art, wie Julia es sagte, beraubte Lena aller Abwehrmechanismen, die sie sonst zur Verfügung hatte. Lena fühlte sich verwundet und ausgeliefert. Sie wollte nicht, dass Jeffrey sich im selben Raum befand, und irgendwie schien er das auch zu spüren. Als sie zu ihm hinübersah, nickte er in Richtung Tür. Lena formte die Lippen zu einem «Ja», und er ging ohne einen Ton.
    «Wissen Sie noch, was als Nächstes geschehen ist?», fragte Lena.
    Julia sah sich um, suchte Jeffrey.
    «Er ist fort», sagte Lena. Ihre Stimme klang sicherer, als sie sich fühlte. «Nur wir beide sind hier, Julia. Nur Sie und ich, und wir haben den ganzen Tag Zeit, wenn Sie wollen. Eine ganze Woche, ein ganzes Jahr.» Sie hielt inne aus Furcht, dass die junge Frau darin eine Ermutigung sehen könnte, die Befragung abzubrechen. «Vergessen Sie nur nicht: Je eher wir die

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