Bereue - Psychothriller (German Edition)
mehr lange dauern. Drei Monate und fünf Tage lang hatte er sich vorbereitet, alles bis ins kleinste Detail geplant. Es würde nicht leicht sein, ihn von der Unausweichlichkeit seines Endes zu überzeugen. Im Gegensatz zu seinen ersten drei Opfern war er ein Kämpfer.
Die Finger wieder auf die Tasten gelegt fügte er einen neuen Absatz ein.
Du musst das Wild aufstören. Es jagen, nicht zur Ruhe kommen lassen. Du musst es hetzen, immer weiter hetzen, zum Abgrund, immer näher an den Abgrund. Dann springt es, von selbst, du brauchst gar nichts zu tun. Im Fallen kracht es auf die Felsen, seine Glieder ze rschmettern, die Rippen brechen und bohren sich in die Lunge. Die Augen quellen aus ihren Höhlen angesichts des unausweichlichen Endes, das Maul zum stummen Schrei geöffnet. Wenn du Glück hast, bleibt das Wild bei Bewusstsein, bis es den Boden erreicht und der Schädel auf dem Stein zerplatzt.
1
Die Kiefermuskeln bewusst entspannt betrat Ben Biller an diesem sonnigen Freitagmorgen das Verwaltungsgebäude der Vita Canin GmbH im Münchener Osten. Seine Schritte hallten durch die Lobby, das Treppenhaus hinauf in die Gänge der drei Etagen, hinein in die einzelnen Büros. Dies war der Rhythmus, der den Herzschlag der Firma bestimmte. Er wusste, dass in diesem Moment die privaten Gespräche seiner Mitarbeiter verstummten, Surfsessions im Internet endeten abrupt, das Arbeitstempo stieg merklich.
Frau Sattelmeier, die Empfangsdame, sprang auf und strich über ihre perfekt sitzende Frisur. „Guten Morgen, Herr Biller.“ Sie lächelte ihm entgegen. Es fehlte nur noch, dass sie salutierte.
Er sollte sich zu mehr Freundlichkeit gegenüber seinen Mitarbeitern durchringen, aber es fiel ihm zunehmend schwerer, seine Mundwinkel zu so etwas wie einem Lächeln zu zwingen.
Mit einem Nicken erwiderte er ihren Gruß und ging an ihr vorbei die Treppe nach oben. Wie immer verzichtete er darauf, den Aufzug zu benutzen. Sein Puls hatte sich kaum merklich erhöht, als er sein Büro im dritten Stock erreichte.
Er vermied es, den Kopf zu drehen, als er an dem bodenlangen Spiegel der Garderobe vorbeiging. Er wusste, wie er aussah. Schwarzer Anzug, weißes Hemd, schwarze Krawatte, wie immer. Perfekt wie immer, bis auf das Übliche. Die Narbe.
Seine Sekretärin Carina Ansmann blickte ihm an ihrem Schreibtisch sitzend entgegen und erhob sich, den Telefonhörer ans Ohr gedrückt. Der silberne Streifen, der sich über ihren Scheitel zog, dort wo die goldblonde Farbe herausgewachsen war, harmonierte mit dem Stahlgrau ihres Kostüms. Lächelnd nickte sie ihm zu und senkte den Blick, konzentriert auf die Stimme am anderen Ende der Leitung.
„Cappuccino“, sagte er zu Frau Ansmann und nahm im Vorbeigehen den Stapel Telefonnachrichten von ihrem Tisch. Er sperrte die Tür zu seinem Büro auf. Stickige Luft quoll ihm entgegen.
Er warf die Telefonnotizen auf seinen Schreibtisch und riss die Fenster auf. Frische Luft drang zusammen mit milden Sonnenstrahlen herein.
Er war nur zwei Tage geschäftlich in Hamburg gewesen, doch die Atmosphäre schien verändert. Sein Blick wanderte durch den Raum.
Von gerahmten Fotos an den Wänden begrüßten ihn wie immer die Hunde. Der eine im Sprung, der nächste schwanzwedelnd mit einem Ast im Maul und ein weiterer vor einem leeren Napf sitzend mit treuherzigem Blick. Das Logo der Firma war dezent in die Aufnahmen eingearbeitet als elementarer Bestandteil eines glücklichen Hundelebens. Lange hatte er mit seinem Marketingteam an der neuen Kampagne gearbeitet, und es hatte sich gelohnt. Seit er die Geschäftsführung übernommen hatte, war es mit der Vita Canin GmbH steil bergauf gegangen. Sie hatten eine andere Firma aufkaufen müssen, um eine zweite Produktionsstätte zu haben. Dank des neuen Produktdesigns und der Kampagne Mit jeder gekauften Packung Vita Canin retten Sie einem Tier den Tag! in Zusammenarbeit mit einer Tierschutzorganisation, die sich auf Heimtiere spezialisiert hat, waren die Absätze rasant gestiegen.
Gegenüber seinem Schreibtisch wartete der Besprechungstisch mit den zwölf Stühlen auf die nächsten Gäste. Wie viele Fäuste hatten auf dieses Holz geschlagen, wie viele Flüche waren von den Wänden abgeprallt. Lächelnd dachte er an den Trick, seine Gesprächspartner zu verunsichern: Er pflegte sich vorzustellen, was für Unterwäsche sein Gegenüber wohl gerade trug. Und wie lange schon. Fast immer zauberte seine Vorstellung ein Grinsen auf sein Gesicht, das seinen
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