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Berge Meere und Giganten (German Edition)

Berge Meere und Giganten (German Edition)

Titel: Berge Meere und Giganten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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blitzte unter der Mundscheibe ein Kranz blauer Warzen.
    »Ich lebe nicht mit euch«, ächzte Delvil, »ich bin nicht von eurem Blut. Nach dem Festland will ich. Ich will zu Marduk.« Die Geier schrien: »Hähä! Zu Marduk. Willst Kraut fressen. Können dich brauchen. Werden sich freuen.« Schon krachte und prasselte der Wald, Delvil ging. »Ich – zu Marduk. Ich – zu Marduk.« Er wimmerte; stürmisch watete er vorwärts. Die Heuschrecken waren verschwunden. Der Blütenstaub lag wogend verzuckend in dicker Schicht über dem Boden. Kuraggara und Mentusi machten sich kreischend Mut, stoben hinter Delvil, saßen auf seinen Schultern, schlugen sich mit den spritzenden Schlangen.
    Den brausenden Kanal überschritt Delvil. An der Küste erschien er in Wolken grünschwarz, taumelnd, schreckenerregend. Den Rhein ließ er erst nach einem Tag. So lange tranken seine Schlangen an dem Wasser. Dann goß er seinen Harn in einen See. Der Teutoburger Wald. Den Harz umging er. In das Gewimmel der märkischen Landschaft geriet er; er kannte sie. Wo war Marduk. Das himmelhohe dröhnende Unwesen stand tagelang, langsam abblasend, im Havelland. Die Geier suchten ihn zu reizen. Er schluckte und bewegte sich nicht. Hier hatte Marduk gelebt. Dann rülpste grollte schrie Delvil viele Stunden, bis das Land um ihn menschenleer war. Er ließ sich auf die Knie. Dicht drückte er sein Gesicht an den Boden. Das Haus, in dem er Marduk gesprochen hatte mit der White Baker – wo war White Baker – erkannte er. Einen Geier hielt er bei den Fängen fest: »Mentusi, in diesem Haus ist Marduk. Sein Leib. Den muß ich haben.« Widerwillig, unter dem Gelächter Kuraggaras gehorchte Mentusi. Träge schwebte er schon wieder zu Delvil hin; in seinen Krallen schaukelte der weiße Körper des Mannes, der die Mark zum bösen Gewissen der Städte gemacht hatte. Unter den Strahlen Zimbos war er gestorben; den Weg zur Erde hatte er gefunden.
    Delvil, der Gigant, lag weit nach vorn gestreckt auf den Knien. Gewitter und Sommerregen gingen über ihn nieder. Den gefrorenen Körper Marduks wühlte er in den schlammigen Sand, drückte sich mit seiner Brust, drückte die isländische Urkraft vor seiner Brust an ihn. Er hauchte stöhnte tagelang über dem Boden an der Leiche. Bis sich unter ihm der Körper zu regen begann, der Sand sich ballte, in langen Zügen, dünnen Linien auf den Körper zulief. Wie ein Gewächs stellte sich auf, stieg aus dem Boden der hagere graue Leib des Konsuls. Delvil hob sich. Er häufte mit beiden Armen Sand um den ruckenden nackten Körper, dem der Kopf fest über die Brust gebunden schien. Wie in Pulsschlägen strömten Erdhaufen unter den Armen Delvils auf den Körper zu; die Luft wirbelte und blitzte um ihn. Ihr eigenes Wasser spien die Schlangen Delvils auf den Boden aus. Als die Brust des hochgestiegenen Körpers, um den die Erde sich zu einer Grube vertiefte, zu dehnen wölben heben begann, die Finger sich spreizten, der Leib auf den gebogenen Knien sich aufzurichten mühte, löste Delvil, ein inbrünstiges Grunzen, tiefes Blöken ausstoßend, augenrollend, die Arme von dem Wesen, stemmte sich auf, blieb auf den Knien. Bis an den Hals reichte ihm Marduk, dessen silberweiße magere Beine in dem Sand wühlten.
    Delvil flüsterte, es dumpfte über die Ebene: »Marduk! Marduk!« Er rief. Dringender jappste er: »Marduk, Marduk.« Das Kinn des Konsuls löste sich von der Brust, der Scheitel stieg auf, die Nase, der Mund trat hervor. Zwei schwarze Augen stierten blicklos auf Delvils Hals. Die Hände bewegte Delvil rufend auf und ab. Heftiger traten unten die Füße. »Ah« stöhnte der Mund, während der Kopf sich von links nach rechts drehte suchte. Eine Faust schwang Delvil vor dem Gesicht des Wesens auf und nieder. Der Kopf fing an zu folgen, senkte hob sich mit der Faust. Da hob Delvil die Faust langsam vor den eigenen Mund, vor seine Augen. Die Blicke des Wesens waren an Delvils Augen; er näherte sie den Augen Marduks, bewegte sie hin und her. Zugleich drängte er, eine Hand in Marduks Nacken gelegt: »Siehst du, du kennst mich. Marduk, du kennst mich. Ich bin Delvil.« »Ah«, stöhnte tiefer der Mund, die weiße Unterlippe klappte herunter; zähes Wasser goß sich in einer Flut herunter. Angstvoll das Dröhnen Delvils: »Du bist Marduk. Der Konsul der Mark. Du kennst mich. Ich habe dich sprechen wollen.« Aus dem Munde des Wesens, das jede Bewegung von Delvils Mund und Augen verfolgte, quoll ein langes »Ah«, dann ein ringendes

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