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Berge Meere und Giganten (German Edition)

Berge Meere und Giganten (German Edition)

Titel: Berge Meere und Giganten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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Hügel beiseite; die umgelegten Tannen knisterten. Sein Gesicht tauchte er von einer Sehnsucht Ahnung gezogen in Marduks Licht. Der stand in seiner Grube, die sich nicht mehr bewegte. Die Beine zerrten noch an der Erde, bis zu den Knöcheln hatten sie sich befreit. Er atmete heftig, weit den Mund auf, den Kopf zurückgelegt; seine Arme ruderten durch die Luft: »Das ist es. Das kann ich. Die Erde Luft Augen; geht zu; meine Augen. Man hat mich hergeholt. Marduk, laß dich nicht rufen. Dies ist schon vorbei. Auseinander. Süße Leiber auseinander. Auf die Reise.« Delvil suchte sich ihm mit der dampfenden, von der Urkraft um spannten Brust zu nähern, die Hände auf Marduks Schultern zu legen. Sie drangen nicht an. Seine Brust wurde seufzend schwer; sie wurde zurückgeschoben. Die Hände, Hände erlahmten. Bis in die Arme, wie unter einem Gift.
    Marduk schrillte und schlürfte Luft: »Dies Kleid nicht. Marduk, auf die Reise. Marduk, geh weg. Hin!« Die Geier sausten jauchzend auf den Rücken des hingestürzten Delvil. Luftziehend, in ächzender Begier schleppte, rappelte er sich an die mondhafte Gestalt, die leiser tönte surrte sang »Marduk, Marduk.« Licht strömte von ihr, dehnte sich, in Punkten, gezogenen Linien über die Landschaft. Dichtere Massen schwammen, wogten von der Gestalt ab, überlagerten Delvils Gesicht und Rücken, bezogen die Bäume und den schwarz aufgerührten Boden, hauchten um die aufflatternden Geier. »Marduk« klang die Gestalt eintönig, wallte stob begann sich in Funken zu drehen. In Wut und Grauen tatschte Delvil zu, heulte, wie das Wesen leicht mit höherem Summen abwich, über den Boden glitt. Es war kaum mehr ein Mensch, was da glitt und hinzog, ein See ein Dampf, der sich immer mehr verbreiterte, mit einem menschenähnlichen Kern, der sich lockerte.
    Hinrollte donnerbrüllte heulte Delvil: »Heran ihr! Mentusi, hilf mir. Kuraggara, sieh ihn an. Seinen Hals, faß ihn. Seinen Fuß, pack zu.« In der schwarzen hohen Luft die Fänge und Pranken streckten die Geier, ließen sich blind über dem Wesen mit geschlossenen schlaffen Schwingen abwärts fallen, stürzten ins Leere, brachen in die Tannen. »Faßt ihn« raste Delvil, ganz aufgerichtet, torkelnd über die Fläche watend, haschend, mit den schweren Beinen tretend.
    Die Gestalt zerrann, hob sich wie Silberschuppen, schwach in dem allgemeinen weißen Schein zu erkennen. In dem Schein rutschten Mentusi und Kuraggara vom Sturz tief benommen von den zersplitterten Tannenspitzen die Stämme abwärts. Delvils Schlangen hingen schlaff; die rote Meduse war aus dem Leib gestiegen, schlotterte; weit offen der Mund; ihre wulstige Wandung kehrte sie nach außen. Delvil fühlte einen Schmerz, als würde sein Leib zerrissen. Er keuchte betäubt in das weiße Nebelmeer. Die Geier schwankten bewußtlos mit den Tannen; die Meduse zerrte an seinen Därmen. Da bückte er sich, riß die Tiere auf seinen Arm, taumelte, starr aus den Wolken herunterblickend, rückwärts nach Westen.
    Schrie seine Wut gegen den schwarzen Himmel. Noch einmal jenseits der Havel machte er halt, aus der Betäubung sich raffend. Es war nicht denkbar, was geschehen war; auf seiner Brust hatte er den Schleier, der Marduk erweckt hatte. Nach Osten kehrte er um; seine Hüften versagten, schwankten nach den Seiten. Die Meduse, dem weißen Dämmer wieder genähert, stieg, als wollte sie etwas greifen, mit ängstlichen Armen empor, wulstete sich krampfend herunter. Über dem Havelland schwamm der milchig weiße Dunst. Die Bäume unten schaukelten sich langsam im Wind. Ein traumhaftes Zwitschern gaben die verborgenen Vögel von sich. In den Hütten Häusern Scheunen schliefen die Menschen. Die Erwachsenen reckten sich; sie gingen im Schlaf durch eine offene warme Landschaft, von einer weichen Gestalt geführt. Die Kinder im Stroh hatten die Augen geschlossen; ihre Münder zuckten; sie lachten. Und Delvil selber, unter allem Brennen in seinen Därmen, während er schwankte Luft schnappte, fühlte eine Müdigkeit. Die Lähmung war süß. Durch den blutgeschwollenen wolkenhohen Kopf gingen ferne Gedanken, von Menschen, sommerlichen Spaziergängen, von einem Becken mit Gold fischen. Seine Knie hatten die Neigung sich zu krümmen. Und wie er ringend mit rückwärts gebogenem Kopf in den Wolken Luft trank, stürzte er auf die Hüfte. Unerträglich peitschender Schmerz. Der jagte ihn hoch. Nach Westen, nach Westen. Die Geier raffte er auf. Er stürmte durch Hannover. Am Rhein kam er zu sich.

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