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Berge Meere und Giganten (German Edition)

Berge Meere und Giganten (German Edition)

Titel: Berge Meere und Giganten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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das Kinn nahe der zarten Brust, die Beine angezogen. Umschrien von den beiden alten Frauen. Marke saß noch immer auf der Bettkante. Stöhnte leise, antwortete nicht, als Männer ihn befragten. Zog sich gegen Mittag an. Mit dem Stahlgürtel rieb er sich die behaarte Brust aufs Fleisch blutig. Unter dem Hemd auf dem blutigen Fleisch schnürte er sich den Gürtel. Unheimlich stand er stundenlang wortlos im Zimmer, die Faust an der Brust.
    Man hatte damals ein Verfahren, auf großen Plätzen, offenen Straßen im aufwirbelnden farbigen Rauch Gestalten und Landschaften sichtbar werden zu lassen. Die spiegelnde Fata Morgana der Wüsten war das Vorbild gewesen. Die Wissenschaft hatte ihr Geheimnis entdeckt; künstliche Wolken waren die Träger der Erscheinungen, Empfänger der über Prismen und Spiegel hingeworfenen lebenden Abbilder. Die Fernseher übertrugen augenblicklich auf jede Entfernung Vorgänge, die im beleuchteten Rauch der Fata Morgana leibhaftig erschienen. Die Megaphone dröhnten an diesem Abend. Der Bildrauch wirbelte auf den Plätzen, in den Anlagen, im Zirkus. Marke erschien. Sein vielen bekanntes Gesicht, aber die Haare grau, Strähnen wirr über Ohren Stirn; grauumwuchert sein Gesicht. Vernichtetes Gesicht, bald starr, bald zuckend, bald in Zittern aufgelöst. Er stand auf dem Balkon seines Hauses. Die Faust hielt er lange wortlos gegen die Brust. Unter seinen schlagenden verwünschenden Handbewegungen, seinen heißen Haßblicken stoben viele Menschen davon. Sein Mund öffnete sich. Ein Rollen Poltern Tosen aus dem Megaphon: »Ich lebe. Meine Töchter sind tot. Sie haben wohl getan. Weg auch ihr.« Er schrie: »Das bin ich«, schlug sich die Brust, riß die Jacke auf, das Hemd weg. Den stählernen Gürtel packte er mit beiden Fäusten, schmetterte ihn gegen die aufgerissene zottige Brust, ohne daß sich sein Gesicht veränderte und ließ von diesem flutenden Hin und Her der Starre, des aufgelösten flimmernden Vibrierens. »Das bin ich.« Die Menschen, die am Boden die Rauchapparate bedienten, lagen in halber Betäubung. Oft verschwand Markes Balkon, die Front seines Hauses, seine Figur im dicken unaufgelösten Qualm. Angstvoll schrie die Menge; immer trat die Figur wieder hervor. Man sah das Eisenstück, das er vom Gitter seines Balkons brach, das er gegen seinen eigenen Hals richtete, in diesem Augenblick, das er gegen seine eigenen Augen richtete. Jetzt Schläge über die Stirn rechts links. Tausend aufgreifende Hände aus den Mengen. Gurgeln Grölen Röcheln aus dem Megaphon.
    Der blinde Marke lebte. Neue Boten kamen. Brachten Bilder vom Uralischen Krieg.

    IM KREIS dieser Stadtlandschaft breitete sich eine Finsternis Lebenssattheit Todesverlangen aus. Die meisten Werke standen. Nur die notdürftigste Verbindung mit den Nachbarstädten wurde gepflegt. Wie abgehetzte Hunde mit lechzenden Zungen und grade von sich gestreckten Gliedern lagen die Herren der großen Werke, rührten sich nicht. Es konnte keiner verhindern, daß von den Massen nur dieser Anblick begehrt wurde: Marke, sein drohendes Stehen, seine Blendung. Er sprach nicht. Fuhr mit der Hand und seinem Gürtel durch die Luft, verlangte eintönig und stumpf: »Tötet euch.« Gleichmütig erhängten sich in diesen Wochen, hier wie in anderen westlichen Städten, kräftige Männer und Frauen.
    Wie noch die Todessehnsucht durch die Menschen brauste, saß Marke in seinem Zimmer. Er richtete in der schweren Schwärze, die ihn umgab, seinen Kopf wie immer nach der Tür, neben der der Riegel war.
    Da fühlte er sich an Knien und Hüften berührt. Er tastete hin, griff nichts. Ließ die Hände fort. Wieder berührte es ihn an Knien und Hüften. Tastete sich langsam langsam an seiner Brust hoch mit so großer Weiche. Wonnig ließ er es geschehen. Er hatte gar keine Furcht.
    Es war die tote Jourdane, die schmächtige junge Tochter. Die streichelte über seine Augenhöhlen. Ein Fliedergeruch kam mit ihr. Sie hatte mit beiden Armen seinen Hals umschlungen, saß auf der Bettkante neben ihm. Er fühlte ihre kühle Wange. »Vater« hauchte es. Er saß im Glück, rührte sich nicht. »Vater. Du bist blind. Ich bin nicht mehr bei dir.« Er hielt immer still. Sein Oberkörper schwankte von rechts nach links. Sie ließ nicht von ihm. »Vater, wie viele Blumen Käfer Menschen und Kinder sind durch uns gestorben. Ich lebe nicht mehr. Du bist blind, Vater. Ihr guten Augen seht nicht mehr. Wieviel sollen noch sterben, Vater.«
    Er fragte: »Wo ist Janina? Ist Janina

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