Bergrichters Erdenwallen
Parterrelokalitäten sind die Bureaux untergebracht, die mit einem langen Lagerschuppen in Verbindung stehen, zu welchem ein eigenes, sogen. Industriegeleise vom Bahnhof zur Einladung des Portlandcementes [2] führt. Die oberen Räume bewohnt die Familie Ratschiller, bestehend aus dem alten Chef der Firma und dessen Gattin, einer würdigen Matrone, dem etwa sechsundzwanzigjährigen Sohne Franz und zwei Töchtern.
Die Cementfabrik selbst liegt hinter dem Bergrücken in einem Seitenthale, etwa eine halbe Stunde vom Städtchen entfernt und müssen die Produkte der Tag und Nacht im Betrieb stehenden Fabrik in Fässern per Fuhrwerk auf der schlechten Vicinalstraße heraus zur Bahn verfrachtet werden. Emsig arbeiteten die Komptoiristen in der Schreibstube, wie die Magazinieure eifrig mit der Verladung draußen beschäftigt sind. In der anstoßenden Stube soll der Sohn des Hauses seiner Arbeit, der Korrespondenz, obliegen, doch war Franz in den letzten Tagen wenig in diesem Raume anzutreffen.
Das Allerheiligste der Arbeitsräume ist dem Chef selbst bestimmt, ein schlichtes Zimmer, einfach mit Geschäftsmöbeln versehen, die ein mächtiger Kassenschrank in der Ecke ergänzt.
Hier arbeitet wohl zehn Stunden des Tages der alte graubärtige Fabrikherr mit einer wahren Unermüdlichkeit, ein leuchtendes Beispiel für seine Bediensteten, die es an Emsigkeit nicht fehlen lassen, wenn sie den „Alten“ im Hause wissen. Weilt der Chef aber in der Fabrik drinnen im Gebirg, dann freilich eilt die Arbeit in den Komptoirs weniger und wird manches Stündchen mit Marend (Frühstück) und Jause (Vesperbrot) vertrödelt. Herr Ratschiller sitzt am Schreibtisch und liest ein Schriftstück, das wenig erfreulichen Inhaltes zu sein scheint, denn auf der Stirne des Fabrikanten bilden sich große Falten, und zeitweilig seufzt der Chef von Sorgen geplagt auf.
„Eine böse Sache,“ flüstert er und drückt mit dem Zeigefinger auf den Knopf des elektrischen Läutewerkes. Rasch erscheint ein junger Komtoirist, den der Chef fragt, ob der Fabrikleiter Hundertpfund noch nicht erschienen sei.
„Nein, Herr Chef!“
„Dann sage, es soll mein Sohn hereinkommen!“
„Herr Ratschiller junior ischt nicht im Komptoir!“
„Es ischt gut!“
Flink verschwindet der junge Mann aus der Nähe des ob seiner Strenge gefürchteten Chefs.
Eine tiefe Kümmernis prägt sich im Antlitz des alten Herrn aus, der vor sich hinmurmelt. „Sorgen um Sorgen im Geschäft, und Franz dazu — nicht mehr zu erkennen! So kann es nicht weiter gehen! Weiß der Kuckuck, was in den Burschen gefahren ischt. Werde ihn 'mal streng ins Verhör nehmen müssen.“
Ratschiller verstummte, als ein bescheidenes Klopfen hörbar wurde.
„Herein!“
Auf das Geheiß trat der erwartete Fabrikleiter namens Hundertpfund unter respektvoller Verbeugung ein. Ein schmucker Mann mit pechschwarzem Schnurrbart und Haupthaar, dabei mit Augen, die einen bezaubernden Glanz ausstrahlten, sympathisch durch ein bescheidenes Auftreten, das nur für Augenblicke sich änderte, wenn der fesche Mann sich jäh aufrichtete, wobei etwas Herrisches zu Tage trat, das sich aber sogleich wieder verlor, so Hundertpfund seine gewohnte, etwas gebückte Haltung wieder einnahm. Wie er so bescheiden vor dem Chef stand, und nach dessen Befehlen fragte, mußte er einen sympathischen Eindruck machen, und Ratschiller blickte seinen bewährten Fabrikleiter denn auch mit unverkennbarem Wohlwollen an.
„Entschuldigen Herr Chef gütigst die kleine Verspätung! Es gab im letzten Augenblick noch manches zu besorgen in der Fabrik, auch wollte ich das Resultat eines Versuches abwarten.“
„Welchen Versuches?“ fragte gespannt der Fabrikherr.
„Ich habe vom benachbarten Eisenwerk etwas Hochofenschlacke kommen lassen, und versucht, daraus einen brauchbaren Portlandcement zu erbrennen.
„Ei der Tausend! Woher haben Sie solche Kenntnisse? Das ischt selbst mir etwas Neues!“
„Ich las davon, daß aus dem Abfallprodukt des Eisen-Verhüttungsprozesses sich Cement erbrennen lassen könne und wollte auf gut Glück den Versuch machen!“
„Und das Resultat?“
„Befriedigt mich zunächst nicht! Es muß irgendwo noch fehlen! — Auf dem Weg heraus ist mir der Oberleitner Bauer begegnet!“
„Ich weiß!“ seufzte der Chef.
Überrascht rief Hundertpfund: „Wieso? Haben Herr Chef mich denn gesehen?“
„Das nicht! Aber vor mir liegt ein Brief, im Auftrag des Oberleitner vom Advokaten an mich gerichtet, und auf Grund
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