1844 - Bei Ebbe kam der Tod
Die beiden schauten sich an, dann gingen sie los. Die Stimmung zwischen ihnen war gedrückter geworden. Das gefiel Michael Lachmann nicht. Er wollte sie etwas verbessern.
»Weißt du eigentlich, welche Brandung ich am liebsten habe?«
Peter Tenhaaf schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Das ist die Brandung, die entsteht, wenn Bier und Schaum in ein Glas fließen.«
Peter lachte. »Hör auf damit, sonst bekomme ich noch Durst.«
»Den löschen wir dann.«
»Wie du willst.«
Sie sagten jetzt nichts mehr. Noch war der Gegenstand nicht genau zu erkennen. Er sah nur dunkel aus und hatte eine längliche Form.
Je näher sie dem Ziel allerdings kamen, umso unwohler wurde ihnen. Darüber sprachen sie nicht. Es war nur an ihren Gesichtern abzulesen. Ihre Blicke blieben auf das Wasser gerichtet. Es herrschte kein Sturm, man konnte sogar von einem nur schwachen Wind sprechen, und am Himmel hatten die Wolken graue Anzüge übergestreift. Die Sonne hatte sich an diesem Tag noch nicht blicken lassen, was nur die wenigsten Menschen störte. Wer sich um diese Jahreszeit auf der Insel aufhielt, der brauchte die Sonne nicht.
Die beiden Männer wanderten durch den Sand. Es war gar nicht leicht, bei diesem Untergrund schnell zu gehen, selbst mit einer Routine wie bei den Freunden.
Und sie gingen langsamer, je näher sie dem Ziel kamen. Ihr Atem hatte sich beschleunigt, und aus ihren Gesichtern war der Ausdruck der Lockerheit verschwunden.
»Das ist eine Leiche«, flüsterte Lachmann.
»Denke ich auch.«
»Scheiße, Peter. Sollen wir verschwinden und so tun, als hätten wir nichts gesehen?«
Tenhaaf schüttelte den Kopf. »Nein, das können wir nicht tun.«
»Okay.«
Sie legten die letzten Meter zurück. Unter ihren Füßen wurde der Sand bereits feucht, und wenig später sahen sie den Toten direkt vor sich liegen.
Er lag nicht völlig im Wasser. Der Oberkörper lag frei. Von seinem Gesicht war nichts zu erkennen, denn der Mann lag auf dem Bauch. Die Arme hatte er angewinkelt und leicht vom Körper weggestreckt.
Die beiden Männer reagierten unterschiedlich. Michael Lachmann sagte nichts. Der kräftige Mann mit den dunklen Haaren starrte den Toten an und blieb selbst starr.
Tenhaaf stellte eine Frage. »Sollen wir ihn auf den Rücken drehen?«
»Nein, nicht. Wir müssen die Polizei anrufen und dürfen auf keinen Fall was verändern.«
»Klar.«
»Rufst du an?«
Peter Tenhaaf nickte. Er hielt sein Handy bereits in der Hand und tippte die drei Zahlen ein, um mit der Polizei in Westerland verbunden zu werden. Es meldete sich eine Frauenstimme, die recht neutral klang.
Der Anrufer riss sich zusammen. Er wollte seiner Stimme einen ruhigen Klang geben. Er sagte seinen Namen und erklärte, wo er sich befand. Dann kam er zum eigentlichen Grund des Anrufs.
»Ich stehe hier neben einer männlichen Leiche, weiß aber nicht, ob der Mann ertrunken ist oder ermordet wurde.«
Der Frau verschlug es die Sprache. Jedenfalls sagte sie erst mal nichts.
»He, sind Sie noch dran?«
»Ja, ja. Und Sie scherzen nicht?«
»So ist es. Hier liegt ein toter Mann am Strand. Und das ist keine Dreigroschenoper.«
»Wie meinen Sie?«
»Schon gut. Alarmieren Sie Ihre Kollegen. Mein Freund und ich warten. Die genaue Position kennen Sie ja.«
»Natürlich.«
Das Gespräch war beendet, und Peter Tenhaaf schüttelte den Kopf.
»Was ist denn?«, fragte sein Freund.
»Dass man hier eine Leiche findet, kommt offenbar nicht oft vor. Jedenfalls war die Frau ziemlich geschockt. Die wollte mir erst gar nicht glauben. Mal sehen, was daraus wird.«
»Das haben wir auch noch nicht erlebt.« Michael Lachmann schüttelte den Kopf. »Und das am Strand von Kampen. Wenn sich das herumspricht, haben wir eine kleine Sensation.«
»Stimmt.« Tenhaaf deutete den Weg zurück. »Da stehen schon einige Leute zusammen und diskutieren bestimmt darüber, warum wir nicht weitergehen.« Er lachte auf. »Michael, ich denke schon, dass es spannend wird.«
»Meinst du?«
»Klar, das wird ein ganz anderer Sylturlaub, glaube es mir …«
***
Als der Wind etwas auffrischte und für höhere Wellen sorgte, erschien die Mannschaft aus Westerland, die von einem Kommissar angeführt wurde. Der Mann mit der durchtrainierten Gestalt und dem grausilbernen Oberlippenbart dirigierte seine Mannschaft mit der üblichen Routine eines Menschen, der sich in seinem Job auskannte.
Den beiden Zeugen hatte er kurz zugenickt und sie dann gebeten, zur Seite zu gehen. Er würde sich später
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