Bergrichters Erdenwallen
Frau Ehrenstraßer grollend ihre Stube verließ.
„Sangue della Madonna!“ rief die Richterin unten angelangt und ballte die Hände zu Fäusten, als sie von ihren dienstbaren Geistern nicht einen erblickte, und stürmte von Stube zu Stube, bis ein Glockenzeichen sie zur Korridorthüre rief.
„Sangue di Dio! Welche liebe Besuch! Complimenti! Prego, tretten Sie ein, casa mia stehen Sie zu Dienst!“ begrüßte die Dichterin die Besucherin, Frau Rosa von Bauerntanz, die Gattin des Bezirksarztes, eine hübsche, blonde Erscheinung, die freilich unter einer altmodischen Toilette wenig zur Geltung kommen konnte.
Der Besuch wurde unter lebhaften Beteuerungen der Freude ins Wohnzimmer geleitet; Frau Ehrenstraßer erschrak wohl beim Anblick der noch immer nicht beseitigten Bescheerung, wußte aber sogleich eine Entschuldigung, indem sie der Besucherin erzählte, die Bescheerung sei die Folge eines urplötzlich gekommenen Ereignisses.
„Ein Ereignis!? Ach, erzählen Sie doch, liebste Frau von Ehrenstraßer!“ rief in größter Neugier die Arztensgattin.
„Ja, große Ereignis! Momento grande! Emmy sein sposa felice!“
„Was ischt sie?“
„Sposa, Braut!“
„Nicht möglich! Mit wem ischt sie denn so geschwind verlobt worden! Nein, eine solche Neuigkeit! So reden Sie doch, liebste Freundin! Bitte aber möglichst deutsch, sonst entgeht mir das Wichtigste!“
Eigentlich weiß Bianca selbst so viel wie nichts, doch erzählte sie, mühsam nach deutschen Worten suchend, daß der Sohn des Cementfabrikanten Ratschiller die Emmy schon seit langer Zeit liebe, es aber bis vor wenigen Stunden nicht gewagt habe, sich zu erklären.
„Was, der Ratschiller Franz?“
„Si, si! Haben Sie etwas contra?“
Frau von Bauerntanz errötete und biß sich auf die Lippen. Nicht um ein Rittergut würde sie jetzt eingestehen, daß sie geglaubt, in jenem jungen Mann einen stillen Verehrer ihrer Person sehen zu dürfen. Gewandt lenkte sie das Thema wieder auf die Verlobungsangelegenheit.
Mit Behagen erzählte Bianca weiter. Besagter junger Mann hätte heute um Emmy angehalten und die Überraschung sei so groß gewesen, daß die Kinder die noch am Boden liegenden Gläser hätten fallen lassen.
„So? Ja, sind denn die kleinen Kinder in dieser Sache gefragt worden?“
„Come, ich nicht verstehen, was meinen!“
Die Doktorin dachte sich ihren Teil und fragte nach der Antwort, die der Herr Bezirksrichter als Vater gegeben habe.
„Si, si, haben meine Mann gesagt! Ist gute Partie, der Bräutigam sein molto ricco, sehr reich!“
„So, so! Ich gratuliere bestens! Nein, eine solche Neuigkeit! Aber nun muß ich trachten, weiterzukommen! Gott! Wird sich die Bezirkshauptmännin ärgern! Die hat geglaubt, den jungen Ratschiller für ihre Tochter bereits eingefangen zu haben und jetzt ist es nichts! Brühwarm soll die Hauptmännin diese Neuigkeit erfahren! 'pfehl mich sehr! Hab' die Ehre, liebste Frau Bezirksrichter, auf Wiedersehen, 'pfehl mich sehr!“
Schneller als sonst üblich vollzog sich die Verabschiedung, und Frau Bianca stand allein, ehe sie noch wußte, wie die Doktorin nur aus der Wohnung gekommen sei. Vom Erkerfenster aus konnte die Richterin sehen, daß Frau von Bauerntanz im Eilschritt der Bezirkshauptmannschaft zustapfte und mählich kam Bianca der Gedanke, daß die Doktorin nun wohl mit der Neuigkeit hausieren gehen werde. Ob das nicht verfrüht ist?
Eine Ablenkung von solchen nicht gerade angenehmen Gedanken brachte die Rückkehr Cenzis vom Fleischer und nun folgte eine dramatisch bewegte Scene, die schließlich mit der sofortigen Entlassung der Köchin endete. Das Kindermädel wäre zwar auch reif zum Davonjagen, doch ist es nicht angängig, das Personal zur Gänze an ein und demselben Tage zu entlassen.
Bis es Zeit zum Abendimbiß wurde, war die Unterinnthalerin mit Sack und Pack bereits aus dem Hause.
Ehrenstraßer erfuhr diese Neuigkeit während der Abendmahlzeit und nahm sie schweigend zur Kenntnis. Wäre Emmy nicht eingesprungen, hätte die Familie überhaupt nichts zu essen gehabt.
Der Richter nahm Emmy dann in seine Stube mit, um den Fall durchzusprechen. Bianca aber brachte die Kinder zu Bett, was natürlich nicht ohne Spektakel abging und haderte dann mit sich und ihrem Schicksal, bis es auch für sie Zeit zur Nachtruhe wurde.
III.
In der Nähe des Bahnhofes der kleinen Amtsstadt befindet sich ein zweistöckiges Haus, dessen großer Schild verkündet: C. Ratschiller, Cementfabrik. In die
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