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Berlin Gothic: Thriller

Berlin Gothic: Thriller

Titel: Berlin Gothic: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Winner
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Aufnahmen, Protokolle, Lagepläne, Mitschriften. Und immer wieder Fotos. Dutzende, Hunderte.
    Claire tritt an die Wand, die der Tür gegenüber liegt und beugt sich vor, um die Aufnahmen, die sie noch nie gesehen hat, besser betrachten zu können.
    An der Wand hängen Bilder von nur zwei Fällen - das sieht sie gleich. Bilder von einer weiblichen Leiche, die auf einem Parkplatz liegt - das Einkaufscenter, die Autos, Details der Verletzungen, der Spuren im Umfeld … und Bilder von einer Frau, die in einer Baugrube liegt, bei Nacht, erhellt nur vom Licht einiger Autoscheinwerfer, ein Akkubohrer, ihr T-Shirt, Butz selbst, der sich über die Frau beugt - in ihr Gesicht vertieft, ihre Hand haltend …
    Claires Blick fliegt über den Schreibtisch, der unterhalb der Fotos an die Wand gerückt ist. Mappen, Gerichtsakten, Mitschriften - Unterlagen diesmal, wie ihr ein Blick darauf zeigt, die nicht nur zu den beiden Fällen der getöteten Frauen gehören, sondern zu verschiedenen Tat- und Fundorten, die mit denjenigen der beiden Frauenopfer vergleichbar zu sein scheinen.
    Das ganze Arbeitszimmer wirkt auf sie wie ein Schrein - wie ein Mahnmal für die beiden Toten.
    Sie müssen fast zu so etwas wie eine Obsession für Butz geworden sein. Er hat ja auch gleich im Krankenhaus angefangen, davon zu sprechen …
    Claire atmet aus.
    Und ohne dass sie es sich erklären kann, drängt sich ihr erneut die Frage auf, die die ganze Zeit über unterschwellig an ihr weitergenagt hat: Was war es, das Frederik ihr hat sagen wollen?
    Da fühlt sie plötzlich einen kühlen Druck im Nacken. Ihr Herz zuckt - ihr Körper strafft sich - sie will herumfahren - doch die Hand im Nacken drückt sie nach vorn, so dass sich Claire unwillkürlich über den Schreibtisch beugen muss. Sie will schreien - doch ihre Kehle ist wie gelähmt. Glatt schmiegen sich die Hochglanzfotos an ihre Handflächen - Gänsehaut überzieht sie wie eine Entzündung und ihre Nackenhaare richten sich auf.
    Zugleich spürt sie, wie ihr Bademantel über ihr nacktes, aufgerichtetes Gesäß nach oben geschoben wird.
     

 
    BERLIN GOTHIC 1
     
    Epilog
     
     
     


     
    Rückblende: Vor zwölf Jahren
     
    Der Schrecken schüttelte noch immer seine Glieder. Mit zittrigen, sprunghaften Bewegungen war Till zurück zu dem Schuppen gerannt, hatte sich in die Ecke des Verschlags gepresst, die Decke um sich gezogen. Es war, als wäre ein Eisblock in seinen Magen gefallen.
    Nach einer halben Stunde öffnete sich mit leisem Knarren die Schuppentür. Till klammerte sich an seine Decke, starrte in die Dunkelheit. Die Tür schwang auf. Oben war der dunkelblaue Nachthimmel zu erkennen - darunter erhob sich ein schwarzer Umriss.
    „Wir haben uns schon gewundert, warum du heute gleich wieder bei uns warst“, sagte der Umriss.
    Till zitterte.
    Der Umriss schob sich durch die Tür, Till meinte Bentheim förmlich riechen zu können. Der Mann ließ sich auf einen Gartenstuhl fallen, der mitten im Schuppen stand. In der Dunkelheit war sein Gesicht nicht zu erkennen.
    „Vergiss, was du gehört hast, hast du verstanden?“
    Ja. Natürlich.
    „Es war nichts. Eine Passage, die ich geschrieben habe, ich werde sie nicht verwenden, sie ist nicht gut, sie ist mir nicht gelungen, ich mag sie nicht, ich will nie etwas wieder davon hören.“
    „Ja.“
    „Hast du verstanden?“
    „Ja.“
    Er hörte ihn ausatmen.
    „Hast du keine Eltern, Till? Was machst du hier?“
    Bentheim wird im Heim anrufen. Sie werden ihn holen. Es ist vorbei. Sie werden ihn zurück nach Brakenfelde bringen. Zurück in sein Zimmer, zurück in sein Bett. Zurück in das Haus, in dem …
    „Ich bin fortgelaufen, Herr Bentheim. Aus dem Heim.“
    Er starrte auf Bentheims Umriss. Der Mann saß reglos auf seinem Stuhl.
    „Wie lange ist das her?“
    „Ein … nein, zwei Tage mit heute.“
    „Was ist mit deinen Eltern, Till, sorgen sie nicht für dich?“
    „Meine Mutter lebt nicht mehr. Und mein Vater … ich weiß nicht.“
    Bentheims Stuhl knarrte.
    „Du kannst hier nicht bleiben.“
    „Nein.“ Natürlich nicht.
    „Hast du einen Onkel, eine Tante, irgendjemanden, der dich abholen kann.“
    Nein.
    „Nein.“
    „Dann bring ich dich morgen zurück in dein Heim. Okay?“
    „Okay.“ Was sollte er dagegensetzen? Bentheims Anwesenheit lähmte Till fast.
    „Wieso bist du weggelaufen, Till? War es so schlimm?“
    Ja.
    „Es hat mir nicht gefallen.“
    „Warum nicht?“
    „Es war … es war okay … aber dann -“
    Er brach ab.

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