Berlin Gothic: Thriller
Vater fort, „ sie sind diejenigen, die ihnen die Chance geben, aus ihrem Leben etwas zu machen. Also“, und damit wandte er sich wieder an Max, „ich würde sagen, es ist ganz einfach. Du wählst aus, was du gerne machen möchtest, wir fördern das, besorgen vielleicht auch einen Lehrer, melden dich in ein paar Kursen an - und am Ende wirst du mir dankbar dafür sein, dass wir es von Anfang an so konsequent angepackt haben - denn du wirst feststellen, dass in deinem Fach dann keiner mehr mit dir mithalten kann.“
„Ja, genau, denn darum geht’s“, hörte Lisa Max’ Stimme krächzen. „Dass keiner mithalten kann.“ Er schaute etwas ratlos zu seinem Vater.
Er will ihn nicht provozieren, sagte sie sich und hoffte inständig, dass auch ihr Vater Max’ Bemerkung so auffassen würde. Er will nur zeigen, dass er es verstanden hat.
„Dann geht es also auch darum, dass ich“, Till hatte wieder das Wort ergriffen, „ … nicht mit Max mithalten kann, richtig?“ Er sah gespannt zu ihrem Vater.
„Willst du etwa nicht besser sein als er?“, fragte der zurück und Lisa hatte das Gefühl, als würde ihr Vater Till jetzt noch ein wenig aufmerksamer ansehen als kurz zuvor. „Moment“, fügte er eilig hinzu, „antworte nicht einfach so. Denk einen Moment nach. Wenn ihr ein Wettrennen macht, wenn ihr Schach spielt, wenn ihr euch unterhaltet - willst du nicht recht haben, besser sein, gewinnen?“
Lisa sah, wie Till grinsen musste. „Vielleicht haben Sie recht, Herr Bentheim, aber ich will doch trotzdem nicht, dass es ihm schlecht geht … “
„Natürlich nicht. Ich weiß, es klingt nicht nett, wenn man es so unverblümt sagt, aber ich denke, es ist am besten, man sieht die Dinge so, wie sie sind. Und es ist nunmal so, dass wir uns mit anderen messen müssen. Natürlich wäre es auch mir lieber, wenn ich Max nicht so zusetzen müsste, wenn ich ihn weiter vor sich hinträumen lassen könnte. Aber das geht nicht. Als Vater bin ich dafür verantwortlich, dass er aus seinem Leben etwas macht. Sonst wirft er mir in zehn Jahren noch vor, ich hätte mich nicht genug um ihn gekümmert!“
Ihr Vater schaute wieder zu Max, aber während er weitersprach, hörte es sich so an, als würde sein Sohn, über den er ja redete, garnicht mehr im Zimmer sein. „Dabei ist es wahrscheinlich ohnehin Unsinn, Max zu einer Entscheidung treiben zu wollen. So etwas wie eine Begabung, ein Talent, das sich zu fördern lohnen würde, so etwas zeigt sich im Grunde genommen doch sowieso nur entweder von selbst - oder gar nicht. Oder, Julia?“ Er sah zu seiner Frau, aber die schüttelte nur den Kopf und Lisa hatte den Eindruck, als würde ihre Mutter ebenfalls gegen Tränen ankämpfen müssen.
Ihr Vater blickte wieder zu Max. „Und wenn sich nichts zeigt?“ Er schien einen Moment über seine eigene Frage nachdenken zu müssen, antwortete dann aber mit einigem Nachdruck, „ … Wird er sein Leben lang eben von einer Sache zur nächsten taumeln, zur nächsten torkeln, zur nächsten schwanken und wanken und stolpern und purzeln, bis er sich so blau und wund gescheuert und gestoßen hat, dass kein Mensch mehr etwas von ihm wissen will!“
Betroffen sah Lisa zu ihrem Bruder, dessen Gesicht sich jetzt vollends aufgelöst zu haben schien. Er weinte. Da war kein Halten mehr, kein Zögern und keine Hoffnung - nur eine bodenlose Verzweiflung, als würde er in ein Loch stürzen, aus dem er nie wieder herauskommen konnte. Im gleichen Moment schepperte es und sie sah, wie Till von seinem Stuhl aufsprang und - ohne noch weiter auf ihren Vater, ihre Mutter oder sonst jemanden zu achten - um den Tisch herum zu Max lief, um ihn fest in den Arm zu nehmen.
„Ja!“ Hell ertönte die Stimme Claires und sie hüpfte ebenfalls von ihrem Platz herunter und drängte sich an die beiden Jungen.
Lisa aber sah zu ihrem Vater, den das Reden offensichtlich sehr angestrengt hatte. Denn die Adern an seinen Schläfen waren bläulich hervorgetreten und sie hatte den Eindruck, als würde sich durch seine Haut hindurch der Schädelknochen abzeichnen.
5
Was hatte ihm Max erzählt? „Er arbeitet nachts“, hatte Max Till gesagt, „schließt sich nächtelang in seinem Gartenhaus ein. Ich habe ihn noch nie schreiben gesehen und noch nie ein Buch von ihm gelesen. Manchmal frage ich mich, ob es überhaupt stimmt. Dass er Bücher schreibt.“
Till schlug die Wolldecke zurück, die er über sich gebreitet hatte, rollte sich von der Luftmatratze herunter und
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